Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0331
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
304

Casa Bartholdy. Er hatte Kraft genug, die romantische Schule
hinter sich zu lasten; er wandte sich dem Studium der Antike
und der Natur zu. Aber ehe er sich ganz in diese Richtung hinein
versenken kennte, rief ihn der Kronprinz Ludwig aus den großen
Schauplatz einer drängenden Thätigkeit nach München (1820),
seinem schöpferischen Geiste immer neue Wände anweisend und
ihre künstlerische Belebung mit derselben Ungeduld fordernd, mit
welcher Julius und Leo nur immer einen Rafael und Michel-
angelo zur Arbeit angetrieben haben. So durch große monumen-
tale Aufgaben und deren Natur auf die Gedankenbahn künstleri-
scher Bethätigung hingedrängt und in der ihm zusagenden Er-
habenheit des Styls festgehalten, wandte er sich mehr und mehr
der Zeichnung zu, die Uebersetzung in Farben meist den Schülern
überlastend; trieb es ihn, seine Gegenstände immer mehr auf
den Gedankeninhalt anzusehen und diesen in allen seinen Be-
ziehungen ausrollen zu lasten, wofür die architektonischen Wände
und die ihnen ungehörige Aufstellung ganzer Bilderkreise so günstig
sind. Er kam dadurch.in den monumentalen Styl so stark hin-
ein, daß ihm die Benutzung der Natur und die Anfrage bei der-
selben seine Treue nicht mehr verbürgte; denn er erblickte sie gar
nicht mehr anders, als in seiner Weise stylisirt, so daß er, mit
dem Auge auf sie gerichtet, weil er ihre Individualität stylisirte,
oft häßlicher und unnatürlicher wurde, als wenn er, sie nicht
anblickend, ihre Allgemeinheit in seinen Styl erhob. Andererseits
entging er der Lockung nicht, in der Steigerung des Gedanken-
hasten ein besonderes Verdienst zu suchen, wodurch ebensowohl
das wohlthätige ästhetische Gleichgewicht gestört wird, als durch
die zu starke Betonung des sinnlichen Elements. Er hat selber
seine Camposanto-Compositionen seine Doctordistertation genannt,
als ihn die Universität zu Münster zum Doctor der Philosophie
erwählte.
Als Cornelius nach München gerufen wurde, hatte er eben
das Directorium der Düsseldorfer Akademie übernommen. Bis
zum Jahre 1825 dauerten seine Wechselreisen zwischen München
und Düsseldorf, welche von manchen seiner Schüler, deren sich
ein großer Kreis um ihn bildete, mitgemacht wurden. Dann
blieb er als Director der Akademie ganz in München. Von
1820—41 schuf er dort die großen Arbeiten in der Glyptothek,
der neuen Pinakothek und der Ludwigskirche.
Die Darstellungen in der Glyptothek behandeln bekannt-
lich die antike Mythen- und Hervenwelt. Im sogenannten Göt-
tersaale findet sich eine sehr sinnreiche Anordnung der Gestal-
ten und Fabeln, die von dem Mittelpunkt der Decke ausgehend
strahlenartig nach vier Seiten hin die vier Elemente, die vier
Jahreszeiten, die vier Tageszeiten, endlich in der großen Lünette
(die Fensterwand entbehrt natürlich einer solchen) die drei Götter-
reiche auf der Erde (Olymp), auf dem Meere (Poseidon) und in
der Unterwelt (Pluto) zur Anschauung bringen. Schon die vier
Eroten im Mittelpunkt unterscheiden sich durch Complexion der
Hautfarbe und durch gelbes, flachsblondes, braunes und schwarzes
Haar von einander. Von ganz besonderem Reiz sind seine
Deckendarstellungen, und alle namentlich sehr trefflich in den
Raum componirt. Das Dahinwehen der rosensingerigen Eos,
ihre beiden Seitengruppen, wo der Greis und das Kind schlafen,
während die Mutter, vom Hahnenschrei geweckt, ausschaut, ebenso
die um Apollo befindlichen Gruppen, nicht minder die die Arte-
mis begleitenden, alle sind ungemein anziehend, und man hat
nur zu beklagen, daß sie so unbequem an der Decke hängen.
Nicht so durchweg fesseln die großen Lünettenbilder. So schön
sie componirt sind, es geht keine rechte unsterbliche Freudigkeit
hindurch. Die Meerweiber um Poseidon und Amphitrite sind
nicht schön genug; Juno desgleichen; der schwammige Silen ist
wahrhaft unangenehm. Dagegen sind Hebe und Ganymed wohl-

gelungen; die Grazien haben etwas Keusches; Proserpina ist die
Schönste von den Haupthelden, wogegen Orpheus gar sentimental
erscheint. Mittelgemächer, in denen die Prometheus- und Pan-
dorasage geschildert sind, führen zum trojanischen Krieg in den
Heroensaal hinüber. Der Kampf um den Leichnam des Patro-
klus ist ein lebensvoll bewegtes Bild. Die Zerstörung von Troja
wird allgemein ^ür eine der bedeutendsten und gewaltigsten, wenn
nicht geradezu für die größte Schöpfung des Meisters gehalten.
Es weht in der That ein großartiger, übermächtiger Zug durch
das ganze Bild; — aber zugleich bedünkt es uns, als habe hier
das Bestreben des Künstlers, Alles zu geben, dahin geführt, daß
er weniger gab, als er beabsichtigte. Wir sehen auf dem engen
Raum fast Alles vereinigt, was im trojanischen Kriege Bedeutung
erlangt hat; Personen und Vorgänge drängen sich im Uebermaß
an einander: Priamos, Andromache, Hekuba, Polyxena, Mene-
laos, Agamemnon und Kassandra, Aeneas und Anchises, Odysseus,
Pyrrhus, der den Astyanax über die Mauer schleudert, das
Pferd, die Beutetheilung. Einzeln lauter charakteristische und
wirkungsvolle Gestalten, vom Strom des Ereignisses durchzuckt;
aber indem Jeder seine persönliche Bedeutung geltend machen
will, sein besonderes Interesse ausdrückt, fällt das Ganze, bei der
kräftigsten Zusammenfassung des Moments, dennoch aus einander
und reiht sich den symbolischen Kompositionen an. Immer wird
Jemand, der der Zeichnung mehr als der Farbe zugethan ist,
allmählig dahin gelangen, das Hauptgewicht auf die Composition
zu legen, und dadurch zu einer reflectirenden, philosophischen Kunst
kommen. Das Fresko unterstützt diese Richtung und Neigung;
allein es ist zugleich der eigentliche Bewahrer des Styls, und
von ihm aus verbreiten sich Zug, Unternehmung, Größe, Neich-
thum und Beweglichkeit auf die andern Gebiete. —
Die Darstellungen in der neuen Pinakothek enthalten eine
Geschichte der mittelalterlichen Kunst. In den kleinen Feldern,
welche gegeben waren, bot sich besondere Gelegenheit zu einer
recht sinnigen Entfaltung der Aufgabe.
Alle die bisher erwähnten Stoffe sind jedoch noch nicht das
eigentliche Gebiet des Meisters. Wir haben ihn bisher mit den
erhabensten Offenbarungen der Dichtkunst beschäftigt gesehen:
mit Göthe's Faust, den Nibelungen, mit der göttlichen Comödie
Dante's (später componirte er auch 6 Bilder zu Tasso), mit
Homer und der griechischen Mythologie. Zu allen diesen Schöpfun-
gen finden wir ihn in einem eigenthümlichen tieferen Verhältniß.
Sie sind ihm nicht allein Fundgruben für Stoffe. Seine Art der
Formendichtuug zeigt ihn beflissen, ihre Summa endgültig in der
zeichnenden Kunst umzubilden, indem er sich bemühte, für die
hervorragenden Helden Typen zu erfinden und hinzustellen, —
nur hinzustellen, daher man seine Art der Darstellung auch als
eine der plastischen zuneigende bezeichnen kann. Daß er sich in
neuester Zeit auch dem Shakespeare zuzewandt hat, verdient hier
eingeflochten zu werden.
Erinnern wir uns hier an die vermittelnde Stellung der
Dichtkunst zwischen der Wissenschaft und der bildenden Kunst und
sehen wir darauf den Geist der Lornelianischen Schöpfungen an,
so finden wir, daß er im Faust am reinsten ästhetisch concipirt.
'Der Inhalt der Darstellungen schlägt voll aus den Gestalten
heraus, Alles ist, was es sein soll, — die Coucession der Be-
deutung wird nirgend angerufen, das sinnliche Element wiegt
vor. Zugleich ist hier aber die Form noch am unentwickeltsten;
sie ist charakteristisch, aber sie ist noch nicht schön, ihr muß man
die Zugeständnisse machen, die man der Conception nicht zu ma-
chen braucht. In der griechischen Mythologie dagegen, wo schon
die Formenschönheit bedeutender sich darstellt und die Gewaltsam-
keiten und Uebertreibungen, die Ecken, kurz die Entfernung von
ihr, mehr auf Seiten der Ausnahme liegen, hat die Conception
 
Annotationen