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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0330
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aus den Evangelien, welche im Besitze des Herrn von Lotzbeck
sind. An ihrer Hand lassen sich die Vorzüge wie die Mängel
des Künstlers aussprechen. Sie enthalten eine Fülle von neuen
und originellen Ausdrucksweisen, welche rührende Schönheiten im
Gefolge haben. Wo die Engelschaar wie eine Schaar von un-
schuldigen Tauben sich um die Krippe des Christkindes drängt,
gibt es eine liebreizende Gruppe. Bei der Darbringung im
Tempel, bei der Ankunft der heiligen drei Könige sieht man ein-
fache, schön geordnete Gruppen und anmuthige Gesichter unter
ihnen. Bei der Auferweckung des Lazarus, der als Mumie im
offenen Sarge dasteht, erhebt sich die Charakteristik zum athem-
losen Lauschen, zur erwartungsvollen Spannung der zunächst
Stehenden und zumeist Betheiligten, die Figur des beschwörenden
Heilands ist voll Adel. Lebendig bewegten Gruppenbildungen,
dramatischem Ausdruck begegnet man bei dem Einzug Christi in Jeru-
salem. Originelle und höchst wirkungsvolle Anordnung finden wir
bei der Freigebung des Barrabas und der Verurteilung des Herrn;
eine eben so eigentümliche und ansprechende Composition zeigt die
Kreuzigung und die Auferstehung. — Dagegen sind andere Kom-
positionen, wie z. B. die Flucht nach Aegypten, der Kindermord
u. a., allzu einfach, ärmlich, rein symbolisch. Alles, was Archi-
tektur betrifft, ist völlig unglaublich und unmöglich, nur so zum
Zeichen hingestellt. Bei der Verkündigung Maria ist die Lilie,
welche ihr als Symbol der Reinheit beigegeben zu werden pflegt,
durchaus die Hauptsache. Sie steht bis an die Decke reichend in
der Mitte des Zimmers, wie ein Heiligtum; die beiden Personen
sind Nebensache dagegen. Eine Menge leerer And achtsgesichter
finden sich aller Orten. Wenn z. Maria, Joseph und Anna wie
zu einem feierlichen Akt versammelt und in der andächtigsten
Stellung hingesetzt sind, um zuzuschauen, wie der Knabe Jesus
auf völlig unmögliche Art und mit steifem Arm aus einem Stück
Holz ein Kreuz sägt, so fällt es schwer, hievon wie von einem
Kunstwerk berührt zu werden. Keine Spur ethischer Erregung
oder irgend sonst eines Asiects, endecken wir auf dem Bilde, wo
Christus das Wehe über die Pharisäer ruft. Der ganze Ge-
schäftigkeitssinn der Martha drückt sich darin aus, daß sie es mit
-dem Knieen bewenden läßt, wo sich Maria zur Erde geworfen
hat und die Füße des Heilandes küßt. Ein Kopftuch ist das
einzige anderweitige Zeichen größerer Wirtschaftlichkeit. Diese
Furcht vor der Realität wird nach den Begriffen jedes Unbe-
fangenen zu weit gehen. Aber sie wird übertroffen von der Furcht
vor dem Unheiligen: beim Abendmahl fehlt Judas ganz; ein um-
geworfener Stuhl bezeichnet seine abwesende Anwesenheit. Des-
gleichen fehlt das Brod und der Wein. An einem völlig leeren
Tische sitzt der Herr mit den Jüngern, ohne irgend ein Zeichen
des Lebens; sie sind alle in lebloser Andacht erstarrt. Solche
Auffassung führt aus den Grenzen der zeichnenden Kunst hinaus.
Diese zu weit getriebene Furcht vor der Leidenschaft ist störender,
als hier und da eine menschenunmögliche Stellung oder ein ver-
wahrloster Christuskörper. Sie ist eben so verletzend wie die
rohe Aufdrängung der bloßen Wirklichkeit bei den Naturalisten;
denn nicht durch Negirung des Affects, sondern durch die Ge-
walt des Charakters und der Schönheit sollen die wahrnehmbaren
Kräfte der Leidenschaften gebändigt und gehalten erscheinen. —
Dies ergibt sich als Resultat, wenn man den Maßstab der Kunst
und nicht den der Religion an die Werke des neuen Fiesole legt.
Overbecks innere Entwickelung ging immer tiefer in die
romantisch religiöse Richtung hinein. Umgekehrt bewegte sich
Cornelius aus derselben heraus.
Es ist schon bemerkt worden, daß er, noch auf deutschem
Boden, einen Kreis von 12 Zeichnungen nach Goethe's „Faust" *
* Gestochen von Rusheweyh 1816.

lieferte. Es folgten bald darauf Compositionen nach dem Nibe-
lungenliede. * Die Selbständigkeit seines Genies hatte ihn von
dem damals Gültigen ab zu den noch oft verkannten ältern
Meistern hingeführt. Ihre Einwirkung ist unverkennbar; eben
so sehr aber die Originalität dieser schöpferischen Phantasie, die-
ses dichterischen, starken Geistes. Seine Composition ist von
vorne herein wirkungsvoll, echt dramatisch. Aber Alles scheint
vor der' Hand gebunden, — eckig, outrirt, dürerisch in der Form-
Durch seine Faustbilder weht der phantastische Geist des Mittel-
alters; — wir treffen auf hölzerne Figuren niit ungefügen Glie-
dern, das halbechte Kostüm — es laufen mittelalterliche und
antike Motive neben einander her — hat brüchige Falten und
sitzt steif: aber diese Figuren entfalten bei alle dem einen eigen-
tümlichen Zauber durch den alten romantischen Geist, da er hier
in einem charakterischen Kopf, dort in der schlichten Schönheit
Gretchens, die auf manchen Blättern einen ländlich derben An-
strich hat, hervorlauscht. Von besonderer Anmuth ist sie, wo sie
zur Gottesmutter fleht: „Ach neige" re. Die Schauer der Wal-
purgisnacht sind mit wenigen Zügen treffend versinnlicht. Be-
merkenswert ist, daß der Künstler in den letzten Blättern die
Physiognomie Fauftens der des Mephistopheles genähert hat; ob-
wohl dieselbe auf. dem letzten Blatte, der Kerkerscene, wenn gleich
richtig intendirt, nicht glücklich herausgekommen ist.
Auch das Nibelungenlied ist Hünen- und reckenhaft gezeichnet;
wiewohl unmögliche und unglaubliche Männer und Pferde Vor-
kommen, haben die Figuren durchaus etwas von der knorrigen,
überragenden Größe, Einfachheit und Tiefe des Liedes: die Ge-
sichter wie aus Erz getrieben, die Körper muskulös, eckig, unge-
wandt. Der Pfeil, mit dem Hagen den Siegfried durchbohrt,
läßt das Leben des Helden in einem dicken, quellenden Strom
davon springen; aber der Pfeil sitzt, durch den ganzen Mann
hindurch, so fest in ihm, als wäre der Mann um den Pfeil
herumgebaut. Ein Haufe mächtiger Necken steht dabei, ihre
ehernen Gesichter verziehen sich zu einiger Mißbilligung, Hagen
flieht, dicht neben ihnen, in gewaltsam ausgereckter Stellung da-
von. So erscheint die ganze Darstellung nicht wie eine eben in's
Leben springende Begebenheit, sondern wie die Verkörperung eines
vorher gewußten unabwendbar bestimmten Schicksals, kindlich und
furchtbar ernst zugleich in der Auffassung. Es ist, als ob der
Meister erst zum äußersten gereizt werden müßte, um schön zu
werden. Denn in Chriemhilden's Klage ist Beides erschütternd
beisammen. Zwar ist sie selber nicht schön, eher zu voll (namentlich
hat sie einen bei den C'schen Frauen seiner damaligen Zeit oft
wiederkehrenden dicken Hals); allein die ganze Gräßlichkeit der
Situation ist mit einer leidenschaftlichen Größe zum Ausdruck gekom-
men. Mit Gewalt und Geschrei wird Chriemhild von zwei Frauen
festgehalten, während eine dritte mit heulendem Entsetzen und
ausgestreckten Armen davon eilt; ein Diener mit einer Fackel be-
leuchtet, mit einem Gesicht, als blickte er in die sich öffnende
Hölle, den Leichnam des schönen Siegfried und seinen treuen
Hund neben ihm. Diese Schönheit in der Erhabenheit, diese
volle Entfaltung seiner künstlerischen Kraft bewährt sich auch in
späteren Arbeiten stets bei leidenschaftlich bewegten Scenen (Zer-
störung v. Troja, Weltgericht, apokalyptische Reiter); während er
bei den Darstellungen leidenschaftsloser Ruhe (Christus in der
Vorhölle, Erwartung des jüngsten Gerichts) stets hinter sich zu-
rückbleibt. Das Uebertriebene und Gewaltsame in der Charakte-
ristik, welches bei diesen ersten Arbeiten vorherrscht, mildert sich,
als der Künstler nach Nom kommt. Er erscheint abgeklärter und
reifer schon in seinen dortigen Schöpfungen. Von großer Schön-
heit sind die beiden Scenen aus der Geschichte Joseph's in der
* Gest. v. Lips u. Ritter.
 
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