Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0230
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Neunter

Jahrgang.


Uugust 1858.


Deutsches Kunstblatt.

Uedigirt von Friedrich Eggers in Berlin.

Die Eröffnung der allgemeinen deutschen Kunst-
ausstellung in München.

Die ersten Tage der Ausstellung liegen hinter uns,' seitdem
wird der Glaspalast, in dessen sorglich hergerichteten und geglie-
derten Räumen sie sich ausbreitet, von eifrigen Besuchern nicht
leer, und das lebhafte Interesse wird sich im Angesicht res groß-
artigen Unternehmens ohne Unterbrechung steigern. Schon die
äußere Physiognomie der Ausstellung zeugt von ihrer Massen-
haftigkeit und Würde, wie von dem Geschick und Eifer der Diri-
genten. In einer Reihe von Logen und Kabinetten ziehen sich
an den langen Wänden die Kontingente der Hauptstätten unserer
neueren Kunst in angemessener Reihenfolge hin; in dem weiten
Raume, den sie umschließen, erhebt sich ein bedeutender Innen-
bau, wiederum mehrfach abgetheilt, den die Mehrzahl der Car-
tons und mannigfache Werke der vervielfältigenden Künste be-
decken. Die imposante Räumlichkeit ist überall, mit Geschmack
und Umsicht, reichlich benutzt, um die ungeahnte Masse des
Zusammengebrachten aufzunehmen. Von Carstens und dessen
Nachfolgern an finden sich alle Richtungen und Schulen der
Malerei vertreten; man darf fast sagen, daß Deutschland hier
sein Bestes vereinigt hat. Wien, Stuttgart, München, Karls-
ruhe, Dresden, Düsseldorf haben sich in erfreulichster Vollständig-
keit betheiligt, Berlins allzu spärliches Contingent wird durch
erneute Bemühungen noch bedeutend erweitert werden; zahlreiche
Privatbesitzer haben ihr thätiges Interesse kundgegeben, nament-
lich auch die fürstlichen Sammlungen ihre Schätze aufgethan. In
der Skulptur konnte eine ähnliche Vollständigkeit nicht erreicht
werden, indessen auch hier ist Gelegenheit zu interessanten Ge-
sichtspunkten und Vergleichungen gegeben. Die vervielfäl-
tigenden Künste zeigen sich gleichfalls in großer Mannig-
faltigkeit, und die verschiedenen Richtungen wie die Höhenpunkte
ihrer heutigen Thätigkeit sprechen sich beredt genug aus. Auch
vie Architektur endlich hat sich in zahlreichen Zeichnungen be-
teiligt, die in einem abgesonderten Raum vereinigt sind.
Es ist hier noch nicht der Ort, auf Einzelnes einzugehen;
die Wucht des Ganzen, verlangt eine durchaus eindringende und
gesammelte Betrachtung, und nur ein im geschichtlichen Sinn
geordneter Bericht kann den Werth und Gehalt der Ausstellung
einigermaßen zur Anschauung bringen. Denn in der That, so-
bald man nur einige Uebersicht über die gewaltige Masse des
hier Ausgebreiteten gewonnen hat, erkennt man, daß es sich um
eine historische Ausstellung im vollen Sinne des Wortes han-
delt; daß das Interesse für das Einzelne zunächst in dem Allge-
meinen der großen geschichtlichen Wandlungen untergeht, um
dann in anderer, sinnvollerer Färbung wieder aufzutauchen; daß
nicht bloß eins vom andern, durch Contrast, Verwandtschaft,

Wechselbeziehung, neues Licht empfängt und so nach allen Seiten
seine Eigenthümlichkeit um so interessanter zurückstrahlt; daß hier
auch in greifbarer Wirklichkeit das Gericht einer unbestechlichen
Macht vollzogen wird, wo nur das Dauernde Beachtung, In-
teresse und hingebende Liebe fordern darf. —
Am 22. Juli — die kurze Verspätung konnte nicht vermie-
den werden — ward die Ausstellung eröffnet. Die -einfache
Feier fand vor zahlreicher Versammlung statt. Gesang und
Orchestermusik leitete ein und beschloß; der Kultusminister, Frei-
herr v. Zwehl, der Sekretair der Akademie und Schriftführer des
Geschäftscomitch Professor Carriere, und Feodor Dietz, Vorsitzen-
der des Comite, sprachen sich nach einander über die Bedeutung
wie über die Entstehung und Geschichte des Unternehmens aus.
Wir sind in den Stand gesetzt, die Reden der beiden Letzteren
unfern Lesern mitzutheilen; es erschien der Bedeutung des Gegen-
standes angemessen, sie im Deutschen Kunstblatt niederzulegen.
I. Rede von M. Carriere.
„Mitten im Gewühl und Gewirr der Welt kann der Mensch
die Paradiesessehnsucht der Seele stillen und sich in ein Gebiet
des Friedens und der Freiheit erheben; drei Wege führen dort-
hin, je nachdem die Idee des Wahren, des Guten oder des Schö-
nen der Stern ist, der uns leuchtet. In der erkannten Wahrheit
findet unsere Vernunft in der Wirklichkeit sich wieder, wird unser
Geist der ursprünglichen Gedanken inne, die das schöpferische
Wesen und Gesetz der Dinge sind, und begreift er sich selbst, wie
er mit Allem gegründet ist, im einigen Grunde des Seins, in
Gott. In der guten Gesinnung und That einigt sich der mensch-
liche Wille mit dem göttlichen, und wie er sich von diesem durch-
drungen, getragen und beseligt fühlt, lebt er das gottinnige Leben
der Liebe. In der Anschauung des Schönen genießt die Phan-
tasie die Verschmelzung von Geist und Natur; wir sehen und
hören, wie durch das Sinnliche und Endliche das Ewige und
Unendliche sich offenbart, und aller Gegensatz in freudiger Har-
monie sich löst. Mit der Religion und der Wissenschaft hat die
Kunst das gleiche Ziel. Ihre Werke sind kein eitles Spiel müs-
siger Unterhaltung, sondern die Gestaltung der innigsten Gefühle,
der tiefsten Gedanken. Das Wesen Gottes und der Welt, die
Herzensgeheimnisse des Volkes und die Ideale seines Strebens
und Ringens werden in strahlenden Bildern zur Erscheinung ge-
bracht; mitten im Strome der Zeit werden die Höhenpunkte des
Daseins, wird die Blüthe des Lebens festgehalten und die Ge-
stalt frei von den Schlacken irdischer Bedürftigkeit und Zufällig-
keit als der Ausdruck unvergänglichen Gehaltes aufgestellt. Dar-
um steht die Kunst mit Religion und Wissenschaft im Bunde,
darum ist sie eine National-Angelegenheit gleich ihnen, und wo
immer die staatliche Entwickelung zu humaner Cultur voran-
schreitet, erkennt sie in der Pflege der Kunst eine Aufgabe der
 
Annotationen