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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0332
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eine Bewegung vom Sinnlichen ab zum Sinnigen, zum Gedan-
kenhaften gemacht. In den Göttersälen ist dies allerdings etwas
dem Stoffe Gemäßes; aber auch die Heroensäle sind in diesem
Sinne mythologisch behandelt, wie wir schon oben näher erklärt
haben, während nichts mehr zu einer realen Behandlungsweise
hindrängt, als ein trojanischer Krieg. Es ist nun allerdings zu
erwägen, daß für das ganze Epos des jonischen Dichters ein
sehr enger Raum gegeben war, daß außerdem die Forderung,
den einen Bildercyclus auch in der Conception in Harmonie mit
dem andern zu erhalten, etwas Berechtigtes zu haben scheint;
den Hauptausschlag gibt aber immer der Geist des Künstlers
und sein damaliger Entwicklungsstandpunkt, und von diesem aus
leitet sich sein Recht zu eben dieser Compositionsweise und unser
Interesse unv Genuß an den Schöpfungen derselben her.
Nun aber öffnete sich ihm das Buch auf's Neue, das in
seiner Jugendzeit, als er noch Processionsfähnlein malte, seine
einzige und liebste Lectüre gewesen war: die Bibel. Die höchsten
dichterischen Offenbarungen hatte er in sich ausgenommen, über
die Alpen war er gegangen, um zu erfahren, was seine Kunst
bis jetzt vermocht habe; — nun sollte er selbst die göttliche Of-
fenbarung malen, und zwar in ihrem tiefsten Mysterium, der
Dreieinigkeit. Die Ludwigskirche ward dazu erbaut. An die
Decke über dem Altäre malte er den Vater als Weltenschöpfer,
umgeben von den himmlischen Heerschaaren. In den Seitenchören
die Geschichte des Sohnes, in den Hauptbildern dieselbe in
Geburt und Tod zu einem Ring zusammenfafsend; die Decke
des Querschiffs ist dem heiligen Geiste geweiht, seiner Gegen-
wart in der Gemeinde, in den Patriarchen und Propheten,
Aposteln, Märtyrern, Kirchenvätern und sonstigen heiligen Per-
sönlichkeiten. Das Altarbild endlich stellt den Schlußgesang des
religiösen Gedichts, das letzte Gericht, dar. — In dieser groß-
artigen Schöpfung zeigt sich für uns seine Darstellungsweise
am meisten harmonisch. Früher machte er die Geschichte zum
Symbol; aber es sagt ihm besser zu, das Symbol zur Geschichte
zu machen, --- was ihm hier erlaubt, ja geboten ist. Hier stei-
gert er sich auch zur höchsten Formenschönheit. Und zwar wie-
derum mehr in dem jüngsten Gericht und den Figuren aus dem
Reiche des Vaters und des heiligen Geistes, also mehr in den
Darstellungen aus der Gedankenwelt, als in den beiden Begeben-
heiten aus der Geschichte des Sohnes. Die letzteren (die Kreu-
zigung befand sich auf der Ausstellung), sehr einfach und schlicht
alle zur Handlung gehörenden üblichen Personen vollzählig in
Gegenwart bringend, lassen uns manche typische steife, wenn auch
charakteristische Figuren erblicken; die Handlung ist nicht in Fluß
gekommen. So wie wir aber zur Weltenschöpfung und zu ihrem
jüngsten Tage aufblicken, so beginnt der volle Strom der drama-
tischen Handlung zu rauschen.
In der Darstellung der Person Gottes des Vaters zeigt
Cornelius all' seine Größe, seinen Ernst und seine Kraft. In
den Formen des Hauptes ist ein Anklang an das Zeus-Ideal.
Von reichen starken Haarmafsen umwogt, von einem Bart um-
kränzt, der in schönen Wallungen innerhalb des ganzen Haar-
schmucks noch besondere Gruppen erkennen läßt, wie sie sich bei
stattlichen Bärten in helleren Farben absondern, erscheinen die
Züge in fester, eherner und hehrer Majestät, ein Bild der Ur-
kraft und des Uralters. Mit der einen Hand weist er der Sonne,
mit der andern dem Monde die Bahn, sein Fußschemel ist die
von einer Schaar der lieblichsten Cherubim getragene Erde, ein
Bogen von- Seraphim wölbt sich hoch über ihm. Rings umher
aber quillt es und weht es in Gestalten von entzückender Schön-
heit, deren Ausdruck, Bewegung und Vollbringen uns empfinden
lasten, daß die Fürstenthümer und die Kräfte, die Einsichten, die

Herrschaften und die Gewalten als Ausdruck der Schöpfung und
Erhaltung um den urewigen Allvater weben.
In den Nebenfeldern sind die Erzengel angebracht.
Das jüngste Gericht endlich breitet sich auf einer Wandfläche
aus, wie sie vielleicht nicht größer in der Malerei existirt. Der
thronende Christus ist 12 Fuß hoch, woraus auf die Dimensionen
überhaupt geschlossen werden kann.
Es ist interessant, das Weltgericht Michelangelo's neben das
von Cornelius zu stellen. Hat man doch den deutschen Meister
immer gern mit dem großen Florentiner verglichen. Sie haben
allerdings den Zug in's Erhabene und Plastische mit einander
gemein. Die in Rede stehende Aufgabe löst Jeder von ihnen
durchaus selbständig und originell, Jeder in seinem Geiste und
Sinne, und es kann nichts Verschiedeneres gedacht werden als
die Darstellungen Beider.
Bei Michelangelo kommt vorwiegend das Schreckniß des
letzten Tages, dessen Gericht unabwendlich und unabänderlich ist,
zum Ausdruck. Selbst durch die Glieder der Seligen geht es
wie ein geheimer Schauer. Unten im Reiche der Dämonen, wo
Verzweiflung und Vernichtung ist, macht das grandiose Vorspiel
des Strafgerichts an der Höllenpforte das Herz des Beschauers
erbeben. Christus selber richtet nicht, er verurtheilt. Mit ver-
werfender Geberde wendet er sich den Verdammten zu, und das
furchtbare „Weichet von mir!" klingt durch die ganze Welt der
um ihn aufsteigenden Schaaren, so daß Maria sich angstvoll in
ihren Mantel hüllt und kaum das Wort der Fürbitte an den
zürnenden Sohn zu richten wagt. Lebhafte, ja leidenschaftliche
und unruhige Körperbewegung durchjagt diese Auferstehung des
Fleisches; die wunderbarsten Verkürzungen, die mannigfaltigsten
Stellungen zeigen die Herrschaft des Künstlers über den mensch-
lichen Leib, der Kampf zwischen Seligsprechung und Verdammung
ist ein äußerlicher. Eine völlige Nacktheit der Gestalten, an
denen der plastische Künstler seinen Schöpfungsjubel ausläßt,
erfreut durch die Fülle der Schönheit, wogegen ein geringeres
Gewicht auf die Individualisirung der Köpfe gelegt erscheint.
Bei Cornelius dagegen geht durch den Ernst der Handlung
ein Ton der Gnade und des Erbarmens. Obwohl er den thro-
nenden Fürsten der Finsterniß selbst in sein Bild ausgenommen
hat, so hält ihm doch das Licht und die ernste Freude des Him-
mels das Gegengewicht. Und von oben dicht bis an die Hölle
heran sind die Engelgestalten hernieder gestiegen, die Schrecken
mildernd und die Hoffnung auf Gnade weckend. Christus thront
in erhabener Ruhe; mit der rechten Hand winkt er den Seligen,
und die Verdammten weist er mit der linken zurück. Diese Art,
das Nichteramt auszudrücken, ist hergebracht, wird aber dem Er-
löser stets etwas von seiner Wirkung nehmen. Weil das Antlitz
keine der beiden Handbewegungen unterstützt, verlieren diese alle
Energie und werden symbolisch. Der Christus des Florentiners
verdammt, wo wir ihn gnädig sehen möchten; aber er thut, was
er thut, ganz, der Christus des deutschen Meisters, da er zweierlei
thun will, thut keins von Beiden nachdrücklich. Zu seinen Sei-
ten knieen Maria und Johannes anbetend. Trotz alles Kampfes,
der auch hier bei den Auferstehenden waltet, muthet es uns doch
mehr an wie eine Auferstehung der Seelen. Die Bewegungen
sind feierlich und haben etwas Schwebendes und Wehendes, nichts
Stoßendes und Drängendes, Ringendes, wie bei Buonarotti.
Schön gefaltete Gewänder bekleiden die Figuren und vergönnen
zwar keinen Blick auf ihre Leibesschönheit, aber es ist dafür mehr
inniger und individualisirender Ausdruck in den Köpfen.
Bei Michelangelo finden wir eine Ueberfülle von Figuren,
während Cornelius durch einzelne Figuren ganze Gattungen aus-
drückt. Zum Tragen der Marterwerkzeuge des Herrn hat Michel-
angelo gegen 50 Engel verwendet, ihrer 7 tragen allein an der
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