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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 9.1901-1902

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Gaulke, Johannes: Moderne Städte-Bilder, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6454#0258
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246

Johannes Gaulke: Moderne Städte-Bilder.

Wirtschaftsleben Amerika's drängt auf neue
architektonische Formationen hin, schon aus
dem Grunde, weil es Fabrikations - Räume,
Stapel-Plätze und Verkehrs-Mittel von einer
der alten Welt unbekannten Ausdehnung
bedarf. Die baulichen Anlagen wachsen
gleich in's Ungeheuerliche; neben den Häuser-
Riesen, den gewaltigen Verkehrs - Anlagen
Amerika's, den langgestreckten Hochbahn-
Körpern und den sich in kühnen Linien
über Fels-Klüfte und Meeres-Busen spannen-
den Eisenbahn - Brücken erscheinen uns die
alten architektonischen Gebilde wie ein zier-
liches Rokoko-Spielwerk. Es ist daher ver-
fehlt, einen Schönheits-Kodex für alle Er-
scheinungen der Kunst und des Lebens
aufzustellen. Aus seiner Umgebung heraus-
gerissen, kann der schönste Gegenstand seinen
Reiz für uns einbüssen. Zu einer annähernd
richtigen Bewertung der Welt der Er-
scheinungen gelangen wir nur, wenn wir die
einzelnen Gegenstände und Stil - Perioden

unabhängig von einander betrachten. Was
wir auf einem alten Kultur-Boden als das
Prototyp der Schönheit begrüssen, versagt
in seiner Wirkung, sobald es in eine andere
Umgebung überführt ist. In New-York ist
die »Nadel der Kleopatra« aufgestellt worden.
Einen wie unendlich kleinlichen Eindruck
macht der ägyptische Obelisk im Herzen
dieser Stadt! Sein Nimbus ist geschwunden.
Das lokale Kolorit und die Tradition sind
Momente, die unser ästhetisches Empfinden
entschieden beeinflussen. Würde man ein
amerikanisches Officebuilding nach Paris oder
Berlin importieren, der Effekt wäre genau
derselbe, nur mit dem Unterschied, dass die
Stilwidrigkeit in diesem Fall noch krasser her-
vortreten würde. Die Architektur Amerika's
lehrt uns jedenfalls das eine: dass wir uns
nie auf einen abgezogenen Schönheits-Kodex
festlegen dürfen. — Wir werden uns nach
dieser Exkursion im Folgenden wieder der
alten Welt zuwenden. (Fortsetzung folgt.)

HANS SANDREUTER. BASEL i88ö. Landsknechte im Winter.

Besitzer: Herr Professor J. Wackernagel-Stehlin—Basel.
 
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