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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 9.1901-1902

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Ebe, Gustav: Versuche in moderner Bau-Ornamentik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6454#0283
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Gustav Ebe: Versuche in moderner Bau-Ornamentik.

CARL MAX REBEL—BERLIN.

aufgefasst werden darf. Wenn nun das Bau-
Ornament grösstenteils seine Motive aus der
Natur entnimmt, so erleiden dieselben doch
stets, und vorzugsweise in den Blüte-Zeiten
der Kunst, eine starke Umbildung oder
Stilisierung, welche sie erst ganz geeignet
macht, den Forderungen der Monumentalität
zu entsprechen; sie erstreben eine scheinbare
Natur-Wahrheit. — Die Notwendigkeit, dem
Auge ein auch in grösserer Entfernung
deutlich erkennbares Bild zu liefern, fordert
vor allem einen vergrösserten Maßstab des
darzustellenden Gegenstandes; der für die
Ausführung gewählte gröbere Bau-Stoff und
ebenso die harmonische Einfügung in das
Architektur-Bild verlangt zugleich die Unter-
drückung mancher Einzelheiten. Zweifellos
ist es dem Bildner, namentlich dem plastischen,
unmöglich, die Feinheit einer Blüte, ihren
Farbenschmelz, ihre Staubfäden, die Zartheit
des Rippengewebes eines Blattes, das weiche
Gefieder eines Vogels, die Behaarung eines
Tier-Körpers oder gar die wechselvollen
Übergänge der Epidermis des Menschen in
der Nachbildung zu erreichen; aber mit
solchen Mitteln will der Künstler auch gar
nicht wirken; er gibt zwar nur eine Ab-
kürzung der Natur - Erscheinung, verbindet
sie aber mit gedanklichem Inhalt und erhebt
sie in das Reich dauernder Stimmung und
Schönheit. Man darf wohl sagen: je näher

•»Der Ritter Zendelwald«..

das Ornament dem Scheine der Wirklichkeit
kommt, desto mehr verfehlt es seinen Zweck,
als Symbol einer Idee oder als Verkörperung
für den Ausdruck des Spieles statischer
Kräfte erschöpfend dienen zu können.

Aus den oben angeführten Gründen
wird es verständlich, weshalb die sich dem
Stilisieren so bequem darbietenden sogenannten
Lotus- und Akanthus - Formen eine durch
Jahrtausende dauernde, von einem Volke
zum anderen übertragene Herrschaft in der
pflanzlichen Monumental - Ornamentik be-
wahren konnten. Jedenfalls war es eine
Verschlechterung des Geschmackes und ein
Zeichen des abgeschwächten Gefühls für
echte Monumentalität, wenn seit der
hellenistisch-kleinasiatischen Epoche Wein-
Laub mit Trauben und dergl. in naturalistischer
Wiedergabe plastisch an den Friesen und den
Kapitellen der Säulen und Pfeiler erschienen.

Erst die fortgeschrittene Gotik, welche
den pflanzlichen Schmuck nicht mehr mit
der Kern-Form der Gliederung unlöslich
verband, sondern denselben rein äusserlich
angeheftet zeigte, — besonders auffallend an
den Blatt-Kränzen der Kapitelle — konnte,
unbeschadet der monumentalen Wirkung,
einer mehr naturalistischen Richtung huldigen,
und wählte nun als Vorbilder die nahe-
liegenden heimischen Pflanzen-Formen. Bald
aber brachte das Bedürfnis einer derberen,
 
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