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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 9.1901-1902

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Endell, August: Originalität und Tradition
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https://doi.org/10.11588/diglit.6454#0303
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2QO

August Endeil—Berlin:

AUGUST ENDELL—BERLIN.

finden, nicht aber sie aus Büchern oder gar
mit Hilfe von Photographien oder Abgüssen
zusammenzustellen. Ist das nun wirklich etwas
so Unerhörtes? Einen Dichter, einen Kom-
ponisten, einen Maler oder Bildhauer würde
man ohne weiteres auslachen, besässe er
die Naivität, vorhandene Kunst-Werke ganz
oder stückweise zu kopieren und dann
für seine eigenen Werke auszugeben. In
der Architektur aber soll das nicht nur
erlaubt, sondern die einzig mögliche Form
der künstlerischen Arbeit sein. Es ist ja
zuzugeben, dass architektonische und kunst-
gewerbliche Arbeit eher zur Benutzung
fremder Formen führt, als das auf anderen
Gebieten der Fall ist; denn einmal ist der
Bedarf an solchen Arbeiten vergleichsweise
unendlich gross und wirklich originale

Künstler hier wie überall
selten. Dazu kommt die
technische Schwierigkeit
und die grossen Kosten
der Ausführung, die ein
Ausprobieren von Fall zu
Fall stark beschränken
oder fast unmöglich machen
und es liegt nahe, dass
wenn jemand einmal die
künstlerische Lösung für
die Überwindung einer
technischen Schwierigkeit
gefunden hat — beispiels-
weise für einen Thürsturz
oder ein Gewölbe — leicht
andere denselben Weg
gehen. Und so findet sich
in der That eine grössere
Stabilität der Formen in
der Architektur wie in
anderen Künsten. Darum
spricht man auch von
Stilen im eigentlichen
Sinne nur in Architektur
und Kunstgewerbe. Aber
schon eine eingehendere
Betrachtung zeigt, dass
diese Stabilität nur eine
scheinbare ist, und dass
in den Zeiten lebendigen
Kunst - Geistes innerhalb
des Stiles unzählige Variationen angetroffen
werden. So wissen wir, dass noch in
der Mitte des ig. Jahrhunderts der einzelne
Tischlermeister seinen Ehrgeiz daran setzte,
für jeden neuen Besteller eine neue Stuhl-
Form zu geben. Das war eine durchaus
gesunde Art des kunstgewerblichen Be-
triebes und gegen diese Art von Nach-
schaffen wird man niemals etwas ernstliches
einwenden können, es liegt in der Natur
der Sache. Aber nicht dagegen richtet sich
die Polemik der Modernen, sondern gegen
die abscheuliche »wissenschaftlich exakte«
Nachahmung alter Stil-Formen. Denn ein-
mal wird die Reproduktion selten genau
werden und dem aufmerksamen Auge wird
der Mangel an Liebe für das Geschaffene
schwerlich entgehen. Es ist eben ein

>Buntes Theater«, Treppen-JIaus.
 
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