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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 9.1901-1902

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Endell, August: Originalität und Tradition
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https://doi.org/10.11588/diglit.6454#0305
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August Endell—Berlin:

AUGUST ENDELL—BERLIN.

und es ist wahrlich besser, unbeholfen und
ungeschickt dem eigenen Sehnen und Wün-
schen Ausdruck zu geben, als mit gestohlenen
Formen Kunstfertigkeit vorzutäuschen, prah-
lerische Gebäude zu errichten, die durch
ihre Verlogenheit nur von den traurigsten
Eigenschaften unserer Zeit Kunde zu geben
geeignet sind. Es hilft also nichts, wir
brauchen wirklich neue Formen.

Früher antwortete man darauf, die
Formen seien erschöpft. Neues zu schaffen
sei schlechterdings unmöglich. Das wagt
man heute nicht mehr. Aber die ehemaligen
Anhänger dieser Ideen erklären Einfachheit,
vornehme Schmucklosigkeit für das einzig
erstrebenswerte Ziel. Ornamente seien Neben-
sache, ja rohe Barbarei. Leider bringen die
Verkünder dieser Lehre nicht viel Erfreu-

liches zustande, und das
Wenige ist leider gestohlen,
dem Biedermeier-Stil, den
Engländern und den Ame-
rikanern. Natürlich ver-
blüfft die glatte Eckigkeit
dieser Formen im Verein
mit dem kostbaren Ma-
terial. Doch empfindet
man nach einiger Zeit
diesen blasierten Skeptizis-
mus, der im Grunde ge-
nommen zu feig zum leben
und zum schaffen ist, als
eine unfruchtbare Ver-
irr ung. Es ist eben gar
nicht leicht, einfache For-
men zu erfinden, und solche
Formen können nicht An-
fang, sondern nur Frucht
langer und intensiver Be-
mühung sein. Erst müssen
wir lernen, durch kompli-
zierte Gebilde zu wirken,
bis wir sicher genug sind,
auch mit einfachen Mitteln
viel zu sagen. Natürlich
machen die Anhänger
jener Richtung den Neue-
ren Effekthascherei und
Aufdringlichkeit zum Vor-
wurf. Nun ist ganz klar,
dass jedes Neue, das ohne Vorbilder und auf
Grund bis dahin nicht befolgter Prinzipien
entstanden ist, überraschend wirkt, von allem
Künstlerischen ganz abgesehen. Das Un-
gewohnte fällt eben auf und dem Betrachter
fehlen alle Voraussetzungen und Kriterien,
mit deren Hilfe er die Folgerichtigkeit des
Einzelnen zu beurteilen vermöchte, da eben
prinzipiell ein Neues gewollt ist und dieses
Prinzip weder erkannt noch anerkannt ist.
Doch ist es eine ziemlich schnöde Taktik,
diesen Umstand den Neueren als niedrige
Gefallsucht auszulegen. Natürlich will jeder
Künstler beachtet sein, aber man darf nicht
vergessen, dass auch ein wenig Mut dazu
gehört, ein fremdes neues Prinzip sich als
Gesetz für das eigene Schaffen aufzuerlegen,
trotzdem Niemand den Effekt im voraus

Thür im »Bunten Theater*.
 
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