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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Breuer, Robert: Spiele der Nadel: Zu den Arbeiten von Frau Else Wislicenus
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0217

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FRAU ELSE WISLICEN US - BRESLAU. SCHMUCKKASTEN IN SEIDENSTICKEREI MIT GLASPERLEN UND SILBER.

SPIELE DER NADEL.

ZU DEN ARBEITEN VON FRAU ELSE WTSL1CENUS.

E

s gibt nichts Langweiligeres, als natura-
listisches Kunstgewerbe. Besonders zu
einer Zeit, die technisch so raffiniert ist, jede
Illusion glaubhaft zu machen. Wenn die Völker
alt werden, geht ihre Sehnsucht nach der Ab-
straktion, nach dem Musikalischen, dem Geisti-
gen. In der Jugend wollen sie die Wirklichkeit
erobern. So wahr, wie sie es sehen und wie
irgend möglich möchten sie das natürliche Leben
festhalten. Da aber zu jenen frühen Zeiten das
technische Vermögen meist ein geringes ist, so
bleibt das naturalistische Wollen gehemmt, und
was entsteht, erscheint wenigstens uns, den
spätcnMenschen, als ein Ornament. Wir müssen
uns aber darüber klar sein, daß die Primitiven
nie solches Ornament erstrebten, vielmehr stets
die Wahrheit. Nur: diese Wahrheit war für sie
so kurz, so eindeutig, so epigrammatisch, daß
sie uns, den Lastträgern, unter tausend Einzel-
heiten als ein köstliches Destillat erscheint.
Wir lieben diese primitiven Ornamente. Was
geht es uns an, daß sie eigentlich so etwas wie

Naturgeschichte sind; wir lieben sie ja gerade
darum, weil wir von unserer eignen kompli-
zierten Naturkunde loskommen möchten. Ja,
und so schreiben wir denn zaghafte Hierogly-
phen, Bilder, die aller Wirklichkeit abgewandt
nach dem absoluten Klang, dem reinen Rhyth-
mus, der würdelosen Funktion tasten. Das
sieht dann beinahe so aus, als wäre es primitiv,
ist aber gezüchtete Blüte einer bereits skeptisch
gewordenen Kultur. Über diese Zusammenhänge
muß man Klarheit haben; damit man nicht etwa
der Versuchung erliegt, krampfhaft Volkskunst
zu kopieren. Die Primitivität der Modernen
ist eine bewußte Verleugnung der Natur. Wir
wollen keine Blumen, nur Träume davon, keine
Sterne, nur ein Aufleuchten, ein Anflammen.
Wir könnten natürlich auch Blumen machen ;
gewiß, es wäre uns ein kleines, Rosen so ähn-
lich zu sticken, daß die Falter danach flögen.
Auch Frau Wislicenus könnte das. Da sie
aber mit der Naivität des Weibes dem Instinkt
der Zeit gehorcht, liebt sie es, von jedem

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