Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

DOI Artikel:
Ritter, William: Ballettskizzen von Léon Bakst, Paris
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0324

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ballettskizzen von Leon Bakst—Paris.

der Staat für Anstalten wie diejenigen Jaques-
Dalcrozes in Hellerau und Berlin ein. Die Ent-
wicklung des Tanzes von der Zucchi oder Sironi
an, bis zu Isadora Duncan oder Gertrud Leisti-
kow wird sich gerade so charakteristisch aus-
nehmen, wie jene des Kostüms und der Deko-
rationen. Die Tütütänzerin, gepriesen von den
Romantikern und von Felicien Champsaur, der-
art, daß er sich selbst und sein Buch „l'amant
des danseuses" betitelte, und Degas vorwarf,
nur immer Häßliche zu malen, wird in Bälde als
etwas Vorzeitiges erscheinen, wenn sie auch
Stephane Mallarme zu den aufklärenden Seiten
begeisterte, worin er den Tanz endlich wieder
zur alten Ehre brachte, die Möglichkeit einer
der VII. Symphonie von Beethoven würdigen
Tanz-und Mimekunst mutmaßend. Wir werden
sie bald nur mehr zu Fasching, in Meßbuden
oder im III. Akt der Verkauften Braut zu
Gesicht bekommen. Der tugendhafte, nüchterne
Degas, die Pariser Anekdotenerzähler in Bild
und Illustration, jener mit seiner ganzen Kunst,
diese mit ihrem billigen Esprit und ihrer Berufs-
treue haben uns schließlich doch bloß Doku-
mente überlassen, wodurch die Archäologie
wiederum zu ihren Rechten kommen wird.

War nun in Deutschland die Entwicklung
dieser Kunstgattung eine logische und syste-
matische, so hätte doch das gute Beispiel auf
Frankreich nicht gewirkt, wenn Aufklärung
und Lehre nicht anderswoher gekommen wären.
Das russische Ballett sollte günstig aufgenommen

3i°

werden, aus verschiedenen Gründen, von denen
zwei allein mit der Ästhetik etwas zu tun haben.
Es hatte die Tradition des alten, französischen,
klassischen Balletts beibehalten, wie es sich an
den Höfen Elisabeth und Katharinas II. ein-
gepflanzt und vervollkommnet hatte, des Klas-
sischen von der Vestris und der Camargo ge-
tanzten Balletts. Andererseits brachte es die
Kunst des orientalischen Tanzes mit der ent-
sprechenden Ausstattung mit sich. Kaukasische
Tänze, turkestanische Tänze, Tatarenrhythmen,
Lermontowsche Poesie einerseits; dann sla-
vische, auf die Bühne übernommene und durch
den Prunk kaiserlicher Feste verschönerte Volks-
elemente, dies alles mußte das größte Gefallen
hervorrufen in einem Lande, das trotz seiner
allzu seßhaften Gewohnheiten doch immer
mehr als irgend ein anderes Vorliebe für Exotis-
men zeigte, brachte man nur diese Exotismen
ihm nach Paris. England mit all seinen Kolonien
hat fast keinen exotischen Maler, während das
häusliche Frankreich fast allein dasteht — die
Eroberung Algeriens hat dazu beigetragen —
mit einer ganzen Schule von Orientalisten, von
Delacroix, Decamp, Marilhat und Fromentin
an bis zu Besnard, der aus Indien zurückge-
kehrt, zu Gauguin, der sein Werk in Tahiti
vollbracht und Octave Morillot, der ihm dort-
hin nachfolgte. Die Niederlassung des russischen
Balletts in Frankreich wird übrigens die selt-
samsten Folgen nach sich ziehen, von denen
wir nur den Anfang gewahr werden, seitdem
 
Annotationen