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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Breuer, Robert: Das Reich der Zeichnung: Zur XXV. Ausstellung der Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0460

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Das Reich der Zeichnwig.

HONORE DAUMIER t

A(,)UAREI.L: »DIE VERTEIDIGUNG«

allem Gegebenen das Entscheidende von dem
Zufälligen zu trennen vermöge. Die Zeichnung
wurde zum Werturteil, zur Kunst des Fort-
lassens. Es handele sich nun nicht mehr darum,
die Natur möglichst korrekt und addiert wieder-
zugeben, vielmehr darum, sie durch Reduzie-
rung auf ein Minimum zur Wirkung eines Maxi-
mum zu bringen. Um zu erleben, wie solch
positive Analytik gemeint ist, muß man an
Liebermann geraten. Es genügt, eine seiner
Radierungen vom Polo anzusehen: diese Pferde
sind nur noch Kurven, nur noch Schriftzüge,
und sind doch so lebendig, wie nur je ein
springendes Vollblut es war. Zeichnen ist die
Kunst der positiven Analyse. Herzlos muß der
Zeichner sein und doch ergriffen von großem
Gefühl, ein kalter Rechner und doch ein er-
regter Phantast. In Liebermanns Gefolgschaft
mühen sich nicht wenige, Zeichner dieser Art
zu werden. Einigen gelang es. Bei anderen hat
man das Gefühl, daß sie, wie Scheffler klug sagt:
„Lieber viel ausführlicher sein möchten, als sie
es sind." Sie möchten gerne schildern, genau

bis in die Einzelheiten, möchten Naturalisten
sein; zwingen sich aber zur kritisch gesehenen
und kurzgeschriebenen Impression, weil sie
wissen, daß die Tugenden des Extraktes und
der Formel den modernen Künstler bedeuten.
In der Kunst aber sind die Wissenden stets die
Geringeren; im höheren Sinne produktiv ist nur,
wer unter einem vorbestimmten Muß sein Werk
verrichtet. Es ist nun deutlich, daß jede der
Natur abstrahierte Hieroglyphe zugleich eine
Entklärung des Ideals ist. Nicht so, als ob ein
besonders schönes Bild destilliert werden sollte,
wohl aber so, daß nach Möglichkeit das Thema
der Natur an den Tag kommt. Solch Thema
wird in der Zeichnung linear zum Vortrag ge-
bracht und als Rhythmus empfunden. Lieber-
manns Polospieler sind solch eine äußerste An-
spannung und Freilegung der im Naturkomplex
verborgenen Rhythmik. Was will es nun be-
deuten, wenn Künstler, die sich gegen Lieber-
mann und seine Art mehr oder weniger ab-
wehrend verhalten, dies damit begründen: daß
es ihnen unmöglich sei, die Natur zu kopieren,

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