zehnmal besser, neben eine alte Barockkirche
ein neues Gebäude in organisch aus unserer
Zeit erwachsenen Formen zu setzen, als eines
in einem falschen und erlogenen Barock. Das
Falsche neben dem Echten wird, auch bei
korrektester Stilnachäffung und unpersönlichster
Unterwürfigkeit, stets einen unreinen Klang
abgeben, wie allemal, wo das Schwächliche
neben das Starke sich stellt. Nein, neben das
Starke gehört stets nur auch wieder ein Starkes,
neben das Eigene ein Eigenes, gleichviel welchen
Stiles. Die beiden Gebäude werden sich, wenn
sie nur beide von ganzen Künstlern herrühren,
aller äußeren Stilverschiedenheit zum Trotz,
schon ganz gut vertragen und je länger sie
nebeneinanderstehen, desto besser. Denn das
ist das Eigentümliche bei guter Kunst, daß sie
sich gegenseitig immer miteinander verträgt, sie
stamme auch aus einander fremdesten Welt-
teilen und Zeiten. Eines lebt sich auf das
Andere gleichsam ein, und wenn erst einmal
beides „historisch" geworden ist, dann wird
der Kontrast, der heule vielleicht noch stark
in die Augen springt, allmählich immer gelinder
und schließlich bloß zu einer milden Pikanterie
geworden sein. Bejammern wir heute etwa
alte Kirchen, die romanisch begonnen, gotisch
fortgesetzt, mit einem Renaissanceportal ge-
schmückt und mit einem Barockdach gekrönt
wurden? Wir lieben sie um so mehr, weil jedes
Zeitalter in naiver, gesunder Eigensucht seine
Signatur daran gelassen hat. Damit soll nun
keineswegs gesagt sein, daß es für einen
modernen Architekten eine Großtat sei, durch
recht krasse neue Formen ein benachbartes
altes Bauwerk gleichsam zu verhöhnen. Im
Gegenteil, wir werden den Takt und die feine
Gesinnung zu schätzen wissen, die alles prot-
zige und sich brüstende Hervorkehren des
Kontrastes vermeidet, die vielmehr schlicht
und wahrhaftig, aber um so überzeugender
dasjenige hinbaut, was der Sache nach hin-
gebaut werden muß. Nicht dadurch ist man
modern, daß man provokant ist, sondern
lediglich dadurch, daß man den Zeitbedürfnissen
genügt. Aber auch das Schlichteste und Natür-
lichste, so lange es ungewohnt ist, vermag die
Zeitgenossen zu ärgern. Einmodernes Geschäfts-
haus etwa, das mit hochgestreckten Mauer-
pfeilern und vielen hohen Fenstern der bequemen
Raumeinteilung und günstigen Lichtzufuhr dient,
kann, ohne daß es irgend etwas Ungehöriges ent-
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ein neues Gebäude in organisch aus unserer
Zeit erwachsenen Formen zu setzen, als eines
in einem falschen und erlogenen Barock. Das
Falsche neben dem Echten wird, auch bei
korrektester Stilnachäffung und unpersönlichster
Unterwürfigkeit, stets einen unreinen Klang
abgeben, wie allemal, wo das Schwächliche
neben das Starke sich stellt. Nein, neben das
Starke gehört stets nur auch wieder ein Starkes,
neben das Eigene ein Eigenes, gleichviel welchen
Stiles. Die beiden Gebäude werden sich, wenn
sie nur beide von ganzen Künstlern herrühren,
aller äußeren Stilverschiedenheit zum Trotz,
schon ganz gut vertragen und je länger sie
nebeneinanderstehen, desto besser. Denn das
ist das Eigentümliche bei guter Kunst, daß sie
sich gegenseitig immer miteinander verträgt, sie
stamme auch aus einander fremdesten Welt-
teilen und Zeiten. Eines lebt sich auf das
Andere gleichsam ein, und wenn erst einmal
beides „historisch" geworden ist, dann wird
der Kontrast, der heule vielleicht noch stark
in die Augen springt, allmählich immer gelinder
und schließlich bloß zu einer milden Pikanterie
geworden sein. Bejammern wir heute etwa
alte Kirchen, die romanisch begonnen, gotisch
fortgesetzt, mit einem Renaissanceportal ge-
schmückt und mit einem Barockdach gekrönt
wurden? Wir lieben sie um so mehr, weil jedes
Zeitalter in naiver, gesunder Eigensucht seine
Signatur daran gelassen hat. Damit soll nun
keineswegs gesagt sein, daß es für einen
modernen Architekten eine Großtat sei, durch
recht krasse neue Formen ein benachbartes
altes Bauwerk gleichsam zu verhöhnen. Im
Gegenteil, wir werden den Takt und die feine
Gesinnung zu schätzen wissen, die alles prot-
zige und sich brüstende Hervorkehren des
Kontrastes vermeidet, die vielmehr schlicht
und wahrhaftig, aber um so überzeugender
dasjenige hinbaut, was der Sache nach hin-
gebaut werden muß. Nicht dadurch ist man
modern, daß man provokant ist, sondern
lediglich dadurch, daß man den Zeitbedürfnissen
genügt. Aber auch das Schlichteste und Natür-
lichste, so lange es ungewohnt ist, vermag die
Zeitgenossen zu ärgern. Einmodernes Geschäfts-
haus etwa, das mit hochgestreckten Mauer-
pfeilern und vielen hohen Fenstern der bequemen
Raumeinteilung und günstigen Lichtzufuhr dient,
kann, ohne daß es irgend etwas Ungehöriges ent-
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