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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 34.1914

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Weichardt, Carl: Drama und Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.7447#0024

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Drama und Dekoration.

wie in den bilden-
den Künsten gibt;
auch der „Naturalist"
ahmt nicht bloß nach,
sondern wählt aus
der Fülle der Erschei-
nungen charakteristi-
sche Motive aus. Die
Bühnenkunst, die mit
leibhaftigen Men-
schen und greifbaren
Dingen arbeitet, ist
naturgemäß stets am
ehesten in Gefahr,
in bloße Nachahmung
des Lebens zu ver-
fallen und damit sich
selbst aufzuheben;
wie illusionstörend
allzu große Lebens-
echtheit wirkt, lassen
uns besonders Ge-
ruchseindrücke spü-
ren , die von der
Bühne kommen:
wenn ein Zigaretten-
duft oder die Rauch-
wolke einer Pfeife
über die Rampe ins
Parkett weht, ist so-
gleich die feine Gren-
ze zwischen Kunst
und Wirklichkeit ver-
wischt , und Max
Reinhardt verdirbt
uns eher die Stim-
mung, als daß er sie
hebt, wenn er in sei-
nem „Mirakel"-Spiel

gar schon vor Beginn der Aufführung Weihrauch-
duft den Raum erfüllen läßt. Eine Dekoration,
die getreu die Natur kopiert, kann im ersten
Augenblick überraschen, nach einigen Minuten
indes sehen wir sie schon nicht mehr, oder aber
sie sticht — was schlimmer ist — trostlos ab
von dem hohen Flug des Dichterwortes, von der
Stimmungsmacht und Ideentiefe des Dramas.
Ganz zum Verzweifeln verschärft sich dieser
Kontrast, wenn eine unserer großen klassischen
Menschheitsdichtungen sich vor Kulissen und
einem Prospekt von archäologischer Treue
und sklavischer Gewissenhaftigkeit des Details
abspielt. Tauchen solche Dekorationen bei
Klassiker-Vorstellungen aus dem Fundus auf,
so überfällt einen immer die peinliche Empfin-
dung, als werde ein Lebendiger in einen Sarg
gelegt: Worte, die ewig leben werden, schwin-

MAX PECHSTEIN-WILMERSDORF. »ITALIENISCHE STUDIE

gen resonanzlos zwi-
schen Dekorationen,
die ewig tot waren,
mögen sie noch so
„historisch echt" sein.
Diese Dekorationen
der alten Schule, die
besonders oft auch in
„großen Opern" be-
gegnen, haben heute
für unsere Augen
etwas Verstaubtes
und spukhaft Leb-
loses , das ans Un-
heimliche grenzt. —
Es ist keine Frage,
daß mit dem Tage,
da der moderneMaler
die Probleme der sze-
nischen Dekoration
zu lösen unternahm,
eine reinere Luft
zwischen den Kulis-
sen wehte und aus
dem Staube frische
Farben, neue Formen
hervorwuchsen. Eine
Musik der Farben
und Linien begann
zu tönen und schwin-
gen ; alle Farben-
klänge der neuen
Malkunst, nicht zum
wenigsten die kecken
Töne der „Jugend"
und des „ Simplizissi-
mus", vereinten sich
zu einem Orchester,
das mit seiner Musik
das Drama auf der Bühne oft berauschend schön
begleitete, oft aber auch übertönte. Die Strenge
der neuen Architektur machte nicht minder
Schule im Theater, dem großen Stildrama er-
standen monumentale Hintergründe, deren
plastische Starrheit allerdings manchmal hin-
wieder allzu unbewegt und wandlungsunfähig
auf die Menschen des Dramas und den Kampf
ihrer Leidenschaften herabsah. Zwischen Fülle
und Strenge, zwischen Rausch und Askese
schwanken noch die Ausstattungskünstler un-
serer Tage hin und her, und so wahr es ist,
daß jedes Stück seinen besonderen dekora-
tiven Stil verlangt, so gewiß muß es doch
auch allgemeine Stilgesetze geben, Wegweiser
für den Theatermaler durch die Wirrnis der
mannigfachen Aufgaben. Max Reinhardt,
Deutschlands erster Theaterkünstler, befolgt


 
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