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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 64.1929

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Breuer, Robert: Wer soll mich malen? Ein Gespräch von Robert Breuer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9254#0024

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Wer soll mich malen?

maurice utrillo—paris

gemälde »kirchplatz«

Der Kenner: Sie sind reif für das Abenteuer
des Gemaltwerdens. Wer auch immer der
Künstler sein wird, an den Sie gelangen, er ist
zu beglückwünschen. Ihr Bild wird keine Fall-
frucht der Willkür oder der Verlegenheit sein.
Es bestätigt sich wieder einmal, daß die Alten
recht hatten, als sie die schönen Künste den
göttlichen Händen des Weibes anvertrauten.
Immerhin lag darin ein Wagnis. Die Frauen
begehren wohl die Schönheit; aber die Wahr-
heit bereitet ihnen Sorge und Schmerz, wenn
sie häßlich ist. Die Frau als das ewig Mütter-
liche will die Vollkommenheit der Gattung.
Fehler und Mängel, gar Entartungen sind ihr
zuwider. Es ist ein alter ästhetischer Satz, daß
das Eckige als männliches Prinzip gilt, als weib-
liches aber das Runde, das Ausgeglichene.

Die Dame: Und nun sagen Sie nur noch: das
Süße, das Zuckrige, das Glatte, das Geleckte,
der Fruchtbonbon, der obligate Öldruck. Sie
irren aber. Seit langem ist auch die Frau hinaus-

gewachsen über die primitive Anschauung, daß
das Schöne die sogenannte vollkommene Har-
moniesei, die letzte Proportionalität, die höchste
Balance und dergleichen Unsinn mehr. Das alles
aber ist nicht Schönheit, sondern zumeist nur
Langeweile. In den Runzeln einer alten Frau,
in einer gichtgekrümmten Hand, in einem schie-
lenden Auge, in einem Buckel kann, künstlerisch
gesehen, Schönheit leben. Als Dürer seine
sterbende Mutter zeichnete, auseinanderfallend,
alle Achsen verschoben, kaum noch ein Mensch,
ein Vergehendes, schuf er ein Kunstwerk voll
Charakter und Kraft. Er gab die Wahrheit.

Der Kenner: Sie sind eine Radikale; Sie
haben Puder und Schminke abgeschworen.

Die Dame: Ach darin irren Sie wiederum.
Aber: der Künstler ist kein Friseur. Er legt
nicht Rot auf und macht keine Maniküre. Der
Künstler ist der Wegbahner der sich ewig er-
neuenden Wahrheit und mehr als das — der
Vorausseher des kommenden Menschen. . r. b.
 
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