Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 64.1929

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Masken und Larven
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9254#0188

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Masken und Larven

gudrun
b audisch.
»schalen-
trägerin«

fehlte. Ensor's Masken und Larven sprachen
den seelischen Hunger dieser Epoche aus; und
wie weittragend das Symbol war, das er dafür
gefunden hatte, mag man daraus ersehen, daß
noch vor wenigen Jahren Künstler wie Karl Hof er,
Max Beckmann und andere die Maske, die
karnevalistische Person, die Larve im Sinne ge-
nau des gleichen Lebensgefühls verwendet haben
wie James Ensor: zum Ausdruck einer starren,
hohlen, dem Menschen innerlich unbekannten
Welt, zum Ausdruck des Schreckens vor ihrer
Fremdheit. Die volle Bedeutung des Symbols,
das in der Maske gegeben ist, gewahren wir
aber erst dann, wenn wir auch auf andere Ge-
biete blicken, wenn wir z. B. ins Auge fassen,
welchen ungemein breiten Raum in derDichtung
bis vor kurzem die Groteske, die Ironie, die
Satire, das Tragikomische, die Clownerie ein-
genommen hat — geradezu als das Stilprinzip
der Zeit. Das war besonders auf der Bühne,
oft auch in lyrischen und epischen Darstellungen
zu beobachten. Als Ursache dessen war über-
all zu beobachten, daß der Geist im Menschen

sich nicht ernstlich, d. h. aus aller Lebenskraft
auf die Welt einlassen wollte, daß er im Grunde
ein weltloser Geist war und sich im Gelächter
behaupten wollte gegen eine Welt, die er nicht
ernst nahm. Grauen und Gelächter, Masken-
schreck und Ironie hängen zusammen; immer
sind sie Ausflüsse derselben Entfremdung zwi-
schen dem Menschengeist und der Welt.

Wir können heute leichter von diesen Dingen
reden als vordem, weil wir vor einer Änderung
dieser Lage stehen. In der Dichtung jedenfalls
liegen bedeutsame Anzeichen vor, daß sich die
literarische Jugend auf ein neues Ernstnehmen
der Welt, auf eine direkte, unverstellte und un-
ironische Sprache verpflichtet fühlt. Im Theater
spüren wir schon ganz deutlich, daß das ironische
Gelächter eine Sache von gestern ist. Und das
heißt, daß der Geist des Menschen aus seiner
gebrochenen Situation gegenüber der Welt
herausgehen will, in eine direkte, gerade und
ernsthafte Beziehung zu ihr. Von dieser Wen-
dung ist beim weiteren Fortschreiten für die
Kunst nur gutes zu erhoffen. . wilhelm michel.
 
Annotationen