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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 64.1929

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Schmitz, Oscar, A. H.: Kunst und Sachlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9254#0262

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PROFESSOR JOS. HILLERBRAND

»SCHREIBTISCH« DEUTSCHE WERKSTATTEN

KUNST UND SACHLICHKEIT

VON OSCAR A. H. SCHMITZ

Unser geistiges Leben befindet sich im Zu-
stand einer babylonischen Sprachver-
wirrung. Man könnte sich oft verstehen, wenn
nicht jeder mit demselben Wort etwas anderes
meinte. So konnte ich mich einmal mit einem
hervorragenden Schweizer Musiker anfänglich
gar nicht verständigen, der gegenüber der Un-
produktivität des intellektualisierten Großstadt-
menschen, über die wir ganz einig waren, das
künstlerische Empfinden des Bauern pries.
Schließlich stellte sich heraus, daß wir auch
hier einig waren, nachdem ich endlich erraten
hatte, daß er damit nur die bäuerliche Unbe-
fangenheit, Naturhaftigkeit, Gemütsbereitschaft
meinte. Da ihm Kunst der höchste Wert be-
deutete, nannte er alles Wertvolle künstlerisch.
Von solcher Einstellung rührt unsere Begriffs-
verwirrung her. So wie jener Künstler die
Beziehung des Bauern zum Boden, zu den
Jahreszeiten „künstlerisch" nannte, so nennt
ein anderer etwa den Schauer, den er im Wald
oder am Meer empfindet, religiös, während doch
Religion noch etwas anderes ist. Nun verliert
jenes Bauerntum und dieses Naturgefühl nicht

das Geringste an Wert, wenn man sie richtig
bezeichnet, als das, was sie sind. Das ist aber
sehr wichtig, denn Worte besitzen eine wirk-
same Magie, und wenn man sie falsch gebraucht,
verwirren sich nicht nur die Begriffe, sondern
die Werte selbst. Auf dieser Wahrheit beruht
die ganze Religion des Confuzius. „Als man
den Sinn der Namen vergaß", sagt dieser Weise,
„wurden die Menschen schlecht" und seine
einem Riesenvolk die Grundlage gebende Re-
form bestand darin, daß er den Namen wieder
ihren Sinn zurückgab, der Liebe zwischen Eltern
und Kindern, zwischen Gatten, der Pflicht
gegen den Freund und die Gemeinschaft. Eine
solche Besinnung täte uns heute not, wie China
zur Zeit des Confuzius.

Betrachten wir einmal das Wort oder den
Namen „Kunst". Es wird niemals möglich
sein, äußere Gesetze festzustellen, nach denen
man erkennen kann, was Kunst ist, aber eines
ist gewiß: Kunst ist immer Sinnesausdruck,
Sinnbild, etwas den Sinnen Gegebenes, das
aber etwas ausdrückt, was jenseits des Sinn-
lichen liegt. Ein schöner Klang, eine schöne
 
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