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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Luecke, Hermann: Bertel Thorwaldsen: geb. 1770 in Kopenhagen, gest. 1844 daselbst
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0101
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DIE KIRCHLICHEN BILDWERKE UND DIE DENKMÄLER.

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zurückweilt. Hoheit und Milde vereinigen fich im Ausdruck und in der Haltung
des Kopfes, mit deffen edeln, fall zarten Formen der Charakter der Körperbildung,
in der hch eine gewiffe Schwere bemerklich macht, allerdings nicht in völligem
Einklang Iteht.^i) Nächft diefer Figur ilt der "Taufengel", der an Rahaelifche
Gehalten erinnert, am meilten durch den Ausdruck einer fchönen Empfindung
ausgezeichnet. Die Apoltelltatuen, obfchon he in Haltung und Geberde mannig-
fach nuancirt find, machen dennoch in ihrer Gefammtheit den Eindruck einer
gewiffen Monotonie; mit den grofsartigen Charaktergeltalten, welche die Kunft
der Renaiffance in ihren Apoftelhguren dargeltellt hat, Und he nicht zu ver-
gleichen; ihre weiten, faltigen Gewänder hnd grofsentheils fehr fchön und
wirkungsvoll angeordnet. Unter den Relieffriefen im Innern der Frauenkirche,
von denen der in der Chornifche die Kreuztragung, die in den Seitenfchiffen
die Taufe ChriRi und die Einfetzung des Abendmahls darftellen, fällt nament-
lich die letztere Kompohtion durch eigenartige Auffaffung und den Charakter
einer gewiffen dramatifchen Lebendigkeit auf. Am Aeufseren der Kirche, über
dem Hauptportal, ift in einem Relieffries der Einzug Chrifti in Jerufalcm ge-
fchildert; das darüber befindliche Giebelfeld zeigt eine Kompohtion von Rund-
hguren in Terrakotta, welche die Predigt Johannes des Täufers darftellt und in
der meiherhaften Anordnung des Ganzen, wie in der Schönheit und Lebendig-
keit der Einzelmotive zu den beiten Werken aus der fpäteren Periode des
Künltlers gehört. Die heftige Oppohtion, die hch zu der Zeit als Thorwaldfen
an diefen chriltlichen Darftellungen arbeitete, von Seiten der fogenannten "Naza-
rener", der Schule Overbecks, gegen he erhob, wird kein Unbefangener gutheifsen ;
gleichwohl darf man behaupten, dals es Thorwaldfen nicht gelang, aus der Welt
der griechifchen Phantahe, welche die eigentliche Heimath feiner Gedanken war,
in das Gebiet der chriltlichen Anfchauungen mit völliger innerer Freiheit über-
zugehen; den Ausdruck einer tieferen Gemüthswärme hat man in jenen Dar-
Itellungen mit Recht vermifst.
Die Porträtdarftellung lag nur wenig in der Richtung feiner Kunlt. Unter
feinen Bildnifshguren, in denen die fogenannte Idealihrung fehr häufig auf eine
Abfchwächung des Charakteriltifchen hinausläuft, wüfsten wir nur eine einzige zu
nennen, die wenig bekannte Statue der Fürltin Baryatinska, die wirklich mit dem
vollen Reize individuellen Lebens begabt ilt. Die Züge ihres edeln und an-
muthigen Gehchts hnd mit einer Feinheit ausgeprägt, wie he der Künltler in andern
Porträtgeltalten kaum jemals wieder erreicht hat. 22)
Das Seltfame einer Itreng antikihrenden Behandlung von Denkmälern und
Porträthguren tritt bei vielen derartigen Werken Thorwaldfens in fchärflter
Weife hervor. Bei einigen hat diefe Form der Idealihrung von der hifto-
rifchen und perfönlichen Eigenart deffen, an die he erinnern follen, erltaunlich
wenig übrig gelaffen. Für das Reiterltandbild Poniatowski's (f. S. 42) war die
Reiterltatue Marc Aurel's das unmittelbare Vorbild. Der Fürlt Potocki und der
Herzog von Eeuchtenberg (f S. 43) hnd beinahe ganz in heroifcher Nacktheit
dargeltellt, nur mit hochgegürteter Tunika und leichtem Obergewand bekleidet.
(Die allegorifchen Gehalten am Grabmal des Letztgenannten, die Genien des
Todes und des Lebens, gehören in jeder Hinhcht zu den fchönlten Arbeiten des
 
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