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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Luecke, Hermann: Bertel Thorwaldsen: geb. 1770 in Kopenhagen, gest. 1844 daselbst
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0102
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BERTEL THORWALDSEN.

Künhlers.) Dafs hch Thorwaldfen indefs auch mit der Behandlung des hihori-
fchen Kohüms, ohne feinem klafhfchen Stil untreu zu werden, meiherlich abzu-
hnden wufste, beweift das Reiterhandbild des Kurfürhen Maximilian I. auf dem
Wittelsbacher Platz in München (f. S. 46), das unter den monumentalen Werken
des KünfHers vielleicht das bedeutendhe ilt. Gegen diefes Werk treten die un-
gefähr gleichzeitig entftandenen Statuen Guttenbergs (in Mainz) und Schillers (in
Stuttgart), namentlich die letztere, weit zurück. An dem Monument Pius VII. in
der Peterskirche zu Rom, bei welchem er, wie Canova, im Ganzen die herkömmliche
Anordnung der kirchlichen Grabmäler beibehielt, find die allegorifchen Figuren
der Sapientia und Fortitudo Gehalten von klafkfcher Würde und Einfachheit.
Bei dem grofsen Abhand, welcher Thorwaldfens Klafficismus von den
heutigen Kunhbehrebungen trennt, wird man eine ganz unbefangene Würdigung
desfelben zunächh nur vom Hihoriker erwarten. Doch fcheint es, dafs auch das
gefchichtliche Urtheil über Thorwaldfen hch neuerdings mehrfach getrübt hat.
Seine kunhhihorifche Bedeutung beruht auf der ganz neuen Stellung, die er
der Antike gegenüber einnahm.
In jener grofsen Epoche, die von dem Wiedererwachen der Antike den
Namen empfing, in den Tagen der Renaiffance hatte das Verhältnifs zum klaffi-
fchen Alterthum einen hark fubjectiven Charakter; dem Bewufstfein jener Zeit
trat die Welt der Antike nicht als ein abgefchloffenes Ganzes gegenüber —
eine gefchichtliche Auffaffung derfelben war noch kaum angebahnt — im Ver-
kehr mit den bewunderten Gehalten ihrer Kunh, in der Benutzung, in der An-
eignung und Auffaffung ihrer Formen herrfchte eine naive Freiheit, die ebenfo
fehr auf dem Gefühl lebendiger Verwandtfchaft mit dem Geihe des Alterthums,
wie auf dem vollkommener innerer Selbhändigkeit beruhte. Die Zeit befafs einen
zu mächtigen Reichthum eigenen künhlerifchen Lebens, als dafs das Vorbild der
alten Kunh zu einer gefetzlichen Norm, zur Autorität hätte werden können.
Das Antike in Raffael ih ganz rahaelifch und darum doch nicht minder antik.
Wo aber fah eine Zeit die Macht des Perfönlichen, die Gewalt originaler
Schöpferkraft kühner, ja riefenhafter auftreten, als die Epoche der Renaiffance
in den Werken Michelangelo's? Anfänge einer wirklichen Nachahmung der
Antike zeigten fich erh in der Periode des Eklekticismus. In den Aus-
fchweifungen, denen fleh nachher die italienifche Kunh, namentlich die Plahik
überliefs, glaubte man, die Antike weit überflügelt zu haben. Sie trat allmählich in
eine tiefe Dämmerung zurück und der Wiffenfchaft hei die Aufgabe zu, he gleich-
fam von Neuem zu entdecken. Nur erh vereinzelte Lichter hatten das Dunkel,
das he verhüllte, aufzuhellen begonnen, als Winckelmann auftrat und diefe ein-
zelnen Dichter zu einer grofsen Flamme vereinigte. Jetzt zum erhen Mal zeigte
hch die Welt der Antike als ein Ganzes, vor deffen überwältigender Schönheit
aller Schimmer der damaligen Kunh erblich. Aus diefem Ganzen einzelne Details
willkürlich zur Benutzung herauszugreifen, war nicht mehr möglich. Winckelmann
in dem Ueberfchwang feiner Bcgeiherung, hellte das griechifche Ideal als das
abfolute Kunhideal vor fein Zeitalter hin, er war der Ueberzeugung, dafs nur von
der unbedingten Hingebung an diefes Ideal das Heil der Kunh zu erhoffen fei.
 
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