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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Eggers, Friedrich: Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0109
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Alle hihorifche Betrachtung wandelt auf falfcher Bahn, wenn he zur Ab-
fchätzung der Bedeutung und Geltung von Begebenheiten, Thaten und Zuhänden
aus der Vergangenheit als ausfchliefslichen Mafshab die Anfchauung der Gegen-
wart nimmt; — wenn ein früherer Standpunkt für werthlos und unberechtigt
erklärt wird, weil heute ein anderer, für richtiger gehaltener, erreicht ih. Ueber
nichts urtheilt die Gegenwart verkehrter, als über hch felbh. Der einzelne Mit-
lebende freilich wird nur dann fehen Boden für die eigene Lebens- und Welt-
anfchauung haben können, wenn er ein pohtives Urtheil über feine Zeit gewinnt,
das ihm als abfolute Wahrheit gilt. Er findet auch Genoffen feiner Anfchauung,
die ihm beihimmen, — fchrankenlos oder mit Befchränkungen, welche gering-
fügig fein können in der nächhen Gruppe der im allgemeinen Uebereinhimmenden.
Aber he wachfen und wachfen hetig in den weiteren, hch wenn auch* im enghen
Anfchlufs bildenden Gruppen bis zu dem Standpunkte hin, welcher nicht nur
keine Berührung darbietet mit der Anfchauung jenes Einzelnen, fondern in Allem
zum ftrikteften Gegenfatz gelangt ih. «In Lebensfluten, in Thatenhurm wall'
ich auf und ab, webe hin und her" — fpricht der Erdgeih. Wir Erdgeborenen
aber wiffen nicht, führt unfer Wirken aufwärts, führt es abwärts? — Jeder wünfcht
von feinem Thun das erhere und glaubt deshalb, dafs dem fo fei. Das Urtheil
aber hat fpätere Zukunft zu fällen über Selbhtäufchung und Irrthum der Gegen-
wart, deren Möglichkeit Schritt für Schritt das Denken und Erkennen begleitet.
Der geringe zeitliche Abhand bewirkt eben, wie für das leibliche Auge eine
zu geringe räumliche Entfernung, dafs man das Kleine überfchätzt, weil der auf
das Objekt concentrirte Blick diefes allein und nichts aufser ihm lieht, anderer-
feits aber das Grofse unterfchätzt, weil man nur einen Theil fleht und nicht das
Ganze in feiner Gefammtwirkung überblickt. Jeder Tag bringt die Beifpiele.
Denn — befchränken wir uns auf das Gebiet der Kunhgefchichte und der Kunh-
kritik — wenn das Alles objektive Wahrheit wäre, was die Fachblätter und gar
die Tageskritik urtheilen: wir hätten mehr Bahnbrecher, als Bahnen, die denkbar
find, und könnten uns nicht bergen vor der Unmaffe neuer Genies, welche die
voraufgegangenen Gröfsen der bildenden Künhe überflügeln. Was aber aus der
Gegenwart Grofses erwächh, das wird im vollen Umfange erh die Nachwelt
erfahren, wenn diefe Gröfse hch als bleibende und von unzerhörbarer Wirkung
für die Zukunft erweih.
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