Die Heben magern Jabre. Fresko von Fr. Overbeck in der Stanxa Bartholdy zu Rom.
ach einer grofsen Entwicklung der Kunft, in welcher alle vor-
handenen Keime zur Bltithe gekommen hnd, fo dafs eine höhere
Stufe nicht mehr denkbar erfcheint, geht das Beftreben dahin,
das Gewonnene zu erhalten und ihm eine mögliche grofse Dauer
zu verleihen, fowie möglichft allfeitige Theilnahme an ihm zu
erwirken. Die Folge hiervon ilt, dafs man das eigenthtimlich Grofse
in eine greifbare Form zu bringen fucht, in welcher es nicht nur Jedem ver-
ftändlich, fondern auch nutzbar werden kann. Diefe greifbare Form aber ift
die Formel, welche die gefammte Errungenfchaft in möglichfter Kürze und
Deutlichkeit enthalten foll. Dem Wefen der Kunft entfprechend kann nun eine
folche Formel nur die äufserlichen Elemente umfahen, in welchen lieh die nach
einem Ausdruck ringenden mächtigen Empfindungen der fchöpferifchen Geifter
verkörpert haben. Das Grofse aber, welches uns an die Seele greift, ift nicht
an eine befondere Erfcheinungsform gebunden, die darum das Recht hätte, die
alleingiltige Ausdrucksweife clarzuftellen: es tritt uns vielmehr auf allen Ent-
wicklungshilfen durch alle Ausdrucksweifen mit hegreicher Macht entgegen, zum
Beweife dafür, dafs es nicht gefonnen ift, fich in die engen Schranken einer be-
fonderen Formenfprachc bannen zu laffen. Es zeigt lieh vielmehr, dafs, je mehr
das Wefen der Kunft in der Beobachtung folcher ftarr gewordener Ausdrucks-
weifen, in der ängftlichen Befolgung von Formeln gefucht wird, der fchöpferifche
Geift fich defto mehr zurückzieht, fo dafs die Kunftübung bei immer wachfender
Beherrfchung der technifchen Seite immer leerer und geiftlofer wird und das
individuelle Eebenselement fich zu einer immer fchaaleren Allgemeingiltigkeit
verflüchtigt.
Es ift natürlich nicht die bildende Kunft allein, deren Entwicklung diefen Fort-
gang zeigt. Es ift vielmehr die Dichtung, welche, wie fie überhaupt in der natur-
gemäfs weiterfchreitenden Kultur die Führung übernimmt, auch hierin den bilden-