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Dresdner, Albert
Schwedische und norwegische Kunst seit der Renaissance — Jedermanns Bücherei: Breslau: Ferdinand Hirt, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.67059#0101
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14. Bildnerei und Baukunst in Norwegen

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Doch das Thema, das ihn gleich Munch vor allem beschäftigt, das
ist die Liebe, und immer wieder und in immer neuen Motiven formt
er Gruppen von Jünglingen und Mädchen. Nur weicht Vigelands
Auffassung weit von der Munchs ab, denn was er schildert, das ist
die schicksalsverbundene Gemeinschaft von Mann und Weib. Das
Mädchen schmiegt sich in die Arme des sie küssenden Jünglings, das
Weib kauert sich im Schoße des Mannes zusammen; sie schläft in
seiner Hut, indes er wacht, denkt, in die Zukunft blickt. Es ist ein
starkes und schönes Gefühl von Mannestum und Mannesverant-
wortung, das bei Vigeland das Verhältnis der Geschlechter bestimmt.
Wohl ist es eine leidensvolle Gemeinschaft, Angst und Sorge stehen
immer hinter ihr, und in den „Niedergeworfenen“ hat der Druck
des Lebens das Paar zu Boden gestreckt, aber selbst in diesem Zu-
sammenbruche noch hält der Mann das junge Weib innig umschlun-
gen; die dunkel verhangene Welt seiner Geschöpfe ist doch sehr viel
reicher an Licht, Wärme und Liebe als jene Hölle Munchs, in der
die Geschlechter in mitleidslosem Kampfe einander verderben.
Zur Monumentalität steigert sich Vigelands Naturalismus in
seinen meisterlichen Bildnisbüsten, in denen die Formgebung aus
dem Charakter des Dargestellten entwickelt wird: in milde gerun-
deten Flächen die professorale Abgeklärtheit Sophus Bugges,
Ibsens Kopf in kantigen schneidenden Formen, Björnsons breit und
imperatorisch. Weniger sicher zeigt sich Vigeland bei Denkmals-
aufgaben. Als Denkmal für den Mathematiker Abel hat er eine
prachtvolle, von idealem Schwünge beflügelte Jünglingsgestalt ge-
schaffen, aber das Verhältnis dieser Figur zu den sie tragenden
Gestalten, die wohl Naturgewalten symbolisieren sollen, bleibt un-
klar, und sein Björnson für Bergen, in dem er den ewig Vorwärts-
schreitenden charakterisieren wollte, behält einen fatalen Zug monu-
mentaler Momentphotographie.
Seit Jahren arbeitet Vigeland an seinem Großwerke, einer um-
fangreichen Brunnenanlage für Christiania. Der in Bronze aus-
geführte Mittelteil ist bereits vollendet. Um die von nackten Fi-
guren getragene Brunnenschale sind beiderseits Gruppen angeord-
net, die menschliche Gestalten im Geäste eines Baumes zeigen:
Symbole des Lebensbaumes, dessen Früchte die wechselnden Ge-
Dresdner, Schwedische und norwegische Kunst, 7
 
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