96
14. Bildnerei und Baukunst in Norwegen
fungen, in denen eine feine Erotik sich durch liebenswürdige An-
mut und gefällig geführte Form einschmeichelt. Das mittlere For-
mat der Genrebildnerei steht seinen Werken am besten; daß er nicht
das Maß für monumentale Aufgaben besaß, bezeugen seine Denk-
mäler Ibsens und Björnsons vor dem Nationaltheater in Christiania,
deren anspruchsvolle Form zu dem Mangel an innerer Gestaltungs-
kraft in Widerspruch steht.
Von Grund aus verschieden ist die Atmosphäre der Kunst Gustav
Vigelands (geb. 1869), der gegenwärtig der stärkste Plastiker des
Nordens, jedoch im Auslande, wo seine Werke nie zu sehen waren,
kaum bekannt ist. Er ist vom Schlage Munchs, Grübler und Pro-
blematiker auch er, auch seine Werke Auseinandersetzungen mit
den Rätseln des Menschenschicksals, Bekenntnisse einer schweren
und dunklen, aber starken und männlichen Seele. Nichts liegt ihm
ferner als sorglose Lebensfreude oder gefällige Form. Mit fast
schmerzhafter Gewalt bohrt er sich in die Form, bohrt er sich in
die Charaktere. Seine Schöpfungen sind ohne Verhältnis zur Archi-
tektur; selbst in den seltenen Fällen, wo etwa ihre formale Gestaltung
die Bindung in einen Baukörper gestatten könnte, fordert die ex-
plosive geistige Raumwelt, in der sie leben, eine Bewegungsfreiheit,
die ihnen nur die Isolierung gewähren kann. Auch er ist bei Middel-
thun und Bissen zunächst durch die Schule des Klassizismus ge-
gangen, und sein „junges Mädchen“ von 1892, in dem die scheue
und ungelenke Anmut erwachender Jungfräulichkeit mit Zartheit
gegeben ist, könnte wohl in die Nähe Hildebrands gestellt werden.
Aber der eigentliche Stil seiner Kunst ist naturalistisch und male-
risch, sein natürliches Material die Bronze, deren Flächen das Licht
in zitternde Bewegung setzt. Die „Hölle“ von 1897 ist ein plastisches
Reliefgemälde im Geiste des Barocks: in finsterer Unnahbarkeit
blickt Satan von seinem Throne auf den ihn umbrandenden Strom
der Verdammten, aus dem rasende Qual und Angst zu ihm auf-
schreien, in dem hoffnungslose Verzweiflung die Leiber hinmäht.
In der Gruppe der „Bettler“ (1899), deren Komposition an Rodins
„Bürger von Calais“ erinnert, ist freche Verkommenheit, hinter
deren feiger Demut hyänenhafte Raubgier lauert, in Körpern
und Gebärden mit grausamer Eindringlichkeit charakterisiert.
14. Bildnerei und Baukunst in Norwegen
fungen, in denen eine feine Erotik sich durch liebenswürdige An-
mut und gefällig geführte Form einschmeichelt. Das mittlere For-
mat der Genrebildnerei steht seinen Werken am besten; daß er nicht
das Maß für monumentale Aufgaben besaß, bezeugen seine Denk-
mäler Ibsens und Björnsons vor dem Nationaltheater in Christiania,
deren anspruchsvolle Form zu dem Mangel an innerer Gestaltungs-
kraft in Widerspruch steht.
Von Grund aus verschieden ist die Atmosphäre der Kunst Gustav
Vigelands (geb. 1869), der gegenwärtig der stärkste Plastiker des
Nordens, jedoch im Auslande, wo seine Werke nie zu sehen waren,
kaum bekannt ist. Er ist vom Schlage Munchs, Grübler und Pro-
blematiker auch er, auch seine Werke Auseinandersetzungen mit
den Rätseln des Menschenschicksals, Bekenntnisse einer schweren
und dunklen, aber starken und männlichen Seele. Nichts liegt ihm
ferner als sorglose Lebensfreude oder gefällige Form. Mit fast
schmerzhafter Gewalt bohrt er sich in die Form, bohrt er sich in
die Charaktere. Seine Schöpfungen sind ohne Verhältnis zur Archi-
tektur; selbst in den seltenen Fällen, wo etwa ihre formale Gestaltung
die Bindung in einen Baukörper gestatten könnte, fordert die ex-
plosive geistige Raumwelt, in der sie leben, eine Bewegungsfreiheit,
die ihnen nur die Isolierung gewähren kann. Auch er ist bei Middel-
thun und Bissen zunächst durch die Schule des Klassizismus ge-
gangen, und sein „junges Mädchen“ von 1892, in dem die scheue
und ungelenke Anmut erwachender Jungfräulichkeit mit Zartheit
gegeben ist, könnte wohl in die Nähe Hildebrands gestellt werden.
Aber der eigentliche Stil seiner Kunst ist naturalistisch und male-
risch, sein natürliches Material die Bronze, deren Flächen das Licht
in zitternde Bewegung setzt. Die „Hölle“ von 1897 ist ein plastisches
Reliefgemälde im Geiste des Barocks: in finsterer Unnahbarkeit
blickt Satan von seinem Throne auf den ihn umbrandenden Strom
der Verdammten, aus dem rasende Qual und Angst zu ihm auf-
schreien, in dem hoffnungslose Verzweiflung die Leiber hinmäht.
In der Gruppe der „Bettler“ (1899), deren Komposition an Rodins
„Bürger von Calais“ erinnert, ist freche Verkommenheit, hinter
deren feiger Demut hyänenhafte Raubgier lauert, in Körpern
und Gebärden mit grausamer Eindringlichkeit charakterisiert.