92 13. Von der jüngsten schwedischen und norwegischen Malerei
horizontal-vertikale Richtungslinien als festes Gerüst in die Bilder
einbaute. Das Halbrund des Sonnenaufgangs knüpft die beiden
Bilderwände zusammen; im übrigen aber sind Kurven, Überschnei-
dungen, Verkürzungen vermieden; alle Gestalten sind von der-
selben Flächenschicht abzulesen und wiederholen denselben Bau-
gedanken. Das Ergebnis ist, daß die Gemälde zu einem organischen
Bestandteile des Raumganzen geworden sind, das sie mit einer
lichten und herben Heiterkeit und Festlichkeit durchdringen. Eine
gewisse konstruktive Starrheit und Nüchternheit aber bleibt in
dem Aufbau der Beziehungen zwischen Bildflächen und Raum-
körper gleichwohl fühlbar: das Gesetz ist erfüllt, aber es ist nicht
in Freiheit aufgelöst.
13. Von der jüngsten schwedischen
und norwegischen Malerei
Eine nähere Schilderung der jüngsten Malerei in Schweden und
Norwegen liegt nicht im Plane dieser Darstellung. Ihre Ent-
wicklung hat sich in erneutem Anschlüsse an die französische, jetzt
an die nachimpressionistische Kunst vollzogen. Auch hier haben
Cezanne und Gauguin Einfluß gewonnen — Gauguin hat durch
seinen Aufenthalt in Kopenhagen die Aufmerksamkeit der nor-
dischen Maler besonders auf sich gelenkt —, kubistische Anregungen
sind von einigen Künstlern aufgenommen worden, am nachhal-
tigsten aber hat Matisse gewirkt, bei dem — etwa seit 1908 — eine
ganze Schar junger schwedischer und norwegischer Maler in die
Lehre gegangen ist. Will man ihre Kunst der expressionistischen
Bewegung beiordnen, so muß man sich doch jedenfalls gegenwärtig
halten, daß ihr das Schicksalserlebnis eines großen Zusammen-
bruchs, daß ihr Katastrophen- und Revolutionsstimmung und da-
mit auch die bittere Sehnsucht nach neuen Werten abgehen, worin
die seelischen Voraussetzungen des deutschen und des russischen
Expressionismus liegen. Der nordische soi-disant-Expressionismus
ist nicht revolutionär gestimmt, sondern hat im ganzen eher eine
ästhetizistische Note; es sind in erster Linie die formalen Probleme,
die ihn beschäftigen: die rhythmische Ordnung der Farbflächen,
horizontal-vertikale Richtungslinien als festes Gerüst in die Bilder
einbaute. Das Halbrund des Sonnenaufgangs knüpft die beiden
Bilderwände zusammen; im übrigen aber sind Kurven, Überschnei-
dungen, Verkürzungen vermieden; alle Gestalten sind von der-
selben Flächenschicht abzulesen und wiederholen denselben Bau-
gedanken. Das Ergebnis ist, daß die Gemälde zu einem organischen
Bestandteile des Raumganzen geworden sind, das sie mit einer
lichten und herben Heiterkeit und Festlichkeit durchdringen. Eine
gewisse konstruktive Starrheit und Nüchternheit aber bleibt in
dem Aufbau der Beziehungen zwischen Bildflächen und Raum-
körper gleichwohl fühlbar: das Gesetz ist erfüllt, aber es ist nicht
in Freiheit aufgelöst.
13. Von der jüngsten schwedischen
und norwegischen Malerei
Eine nähere Schilderung der jüngsten Malerei in Schweden und
Norwegen liegt nicht im Plane dieser Darstellung. Ihre Ent-
wicklung hat sich in erneutem Anschlüsse an die französische, jetzt
an die nachimpressionistische Kunst vollzogen. Auch hier haben
Cezanne und Gauguin Einfluß gewonnen — Gauguin hat durch
seinen Aufenthalt in Kopenhagen die Aufmerksamkeit der nor-
dischen Maler besonders auf sich gelenkt —, kubistische Anregungen
sind von einigen Künstlern aufgenommen worden, am nachhal-
tigsten aber hat Matisse gewirkt, bei dem — etwa seit 1908 — eine
ganze Schar junger schwedischer und norwegischer Maler in die
Lehre gegangen ist. Will man ihre Kunst der expressionistischen
Bewegung beiordnen, so muß man sich doch jedenfalls gegenwärtig
halten, daß ihr das Schicksalserlebnis eines großen Zusammen-
bruchs, daß ihr Katastrophen- und Revolutionsstimmung und da-
mit auch die bittere Sehnsucht nach neuen Werten abgehen, worin
die seelischen Voraussetzungen des deutschen und des russischen
Expressionismus liegen. Der nordische soi-disant-Expressionismus
ist nicht revolutionär gestimmt, sondern hat im ganzen eher eine
ästhetizistische Note; es sind in erster Linie die formalen Probleme,
die ihn beschäftigen: die rhythmische Ordnung der Farbflächen,