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14. Bildnerei und Baukunst in Norwegen

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Urnatur, steht er dem Geiste der älteren norwegischen Kunst inner-
lich vielleicht näher als seine Altersgenossen; lastender Winter,
Sturm und Drang des nordischen Frühlings, melancholischer Regen-
tag und berauschender Sommer werden bei ihm zu dramatisch
gesteigerten Symbolen mächtiger Naturgewalten.
14. Bildnerei und Baukunst
in Norwegen
Die Bildnerei hatte in Norwegen lange mit ungünstigen Voraus-
setzungen zu kämpfen. Instinkt und Begabung wiesen die Nation
auf das Malerische, für die plastische Form war wenig Verständnis
zu finden, und obendrein sträubte sich ein pietistisch gefärbter
Moralismus gegen die Darstellung des nackten Menschen. Den
Klassizismus vermittelte Julius Middelthun (1820—1886), der durch
den Dänen Bissen ein Enkelschüler Thorvaldsens war. Aus seiner
Schule ging Stephan Sinding (1846—1923) hervor, der dann die
klassizistische Überlieferung in Berlin durch den Rauchschüler
Albert Wolff noch von einer zweiten Seite empfing. In Paris nahm
er von der modernen französischen Bildnerei Einflüsse auf, in Rom
wirkte vor allem Michelangelo auf ihn ein. Ein geschmeidiges Talent,
verstand er, die ihm verwandtenStilformen je nach Bedürfnis seinen
Aufgaben anzupassen. Sein Erstlingswerk, der „Gefesselte“ von
1878, ist ein Abkömmling der Louvre-Sklaven Michelangelos; auf
den Klassizismus weist die melodische Linienführung einer Gruppe
wie der ihr Kind stillenden gefangenen Mutter. Aber in anderen
Werken, wie der den gefallenen Sohn tragenden „Barbarenmutter“
von 1882, geht er in der Art von Barrias oder Mercie auf drama-
tischen Effekt und lebhafte Bewegung in Umriß und Binnenform,
und. „Mutter Erde“ ist ohne Rodin nicht wohl zu denken. Trotz
seiner Versuche, nordisch-urtümliche Kraft zu schildern, bildete das
wahre Gebiet seiner Begabung weniger das Charakteristische als das
Formalschöne, und es gelang ihm vor allem die Schilderung des
Reizes aufblühender jugendlicher Körper. Der Jüngling, der kniend
das thronende Mädchen anbetet, oder seine Mädchen und Jüng-
linge in der Umarmung, im Kusse, im Schlummer: das sind Schöp-
 
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