Einleitung
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Vom Vierundzwanzigjährigen haben wir die ersten Kupferstiche; in den
Jahren der Reife wird er in die unruhige Kunstproduktion eines großen
Herrn undKaifers hineingeriffen, der alleOrgane menschlicherMitteilungs-
fähigkeit in den Dienst der Verherrlichung seines Herrschertums zu stellen
wünscht. Kostbare Jahre vergehen immer wieder mit einem Bestreben,
das uns heute schulmeisterlich und pedantisch dünkt, das abermerkwärdiger-
weise immer wieder bei äugen- und handstarken Künstlern wiederkehrt:
eine Sehnsucht nach Gesetzlichkeit, nach Formeln, Regeln und Massen,
mit denen man die widerspenstige Schönheit beschwören und aufPapier,
Tafel und Leinwand herabzwingen könne, durch zieht dieReihe der Schrif-
ten, die Albrecht Dürer teils in der zweiten Hälfte seines arbeitövollen
Lebens herauöbrachte, teils unvollendet hinterließ.
Als Ringender, dem die allerletzte Erfüllung versagt blieb, steht Dürer
den großen Meistern der italienischen Hochblüte gegenüber. Fast alle
sind sie durch eigeneWerke oderdurchNachzeichnungen, Nachahmungen,
Nachklänge in seinen Gesichtskreis getreten. Und wenn man Dürer auch
an keiner Stelle nachsagen kann, daß er zum beschämt beschenkten Neh-
mer geworden sei, daß er sich widerstandslos ergeben habe, so finden wir
wohl auch nirgends die tanzende Helle, den schimmernden Marmorglanz
der höchsten Meister von Venedig und Florenz bei ihm wieder.
Noch ein anderes tritt zwischen Dürer und das Aufnahmevermögen
einer Zeit, die den ungehemmten Leidenschaftsausdruck, die schrankenlose
Hingabe an das Erlebnis des großen Augenblicks als die höchste Erfüllung
feiern will. Wenn wir von einzelnen Werken seiner erwachsenen Jugend
absehen, so stört uns allzuhäufig eine Überlegsamkeit, die die Form aus
der gewissenhaften Ergründung heraus bewältigen will und selten den
Impuls ungeprüft über die Schwelle läßt. Man hat die Fahne eines
Mathias Grünewald, der eigentlich in einem einzigen Werke sich aus-
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Vom Vierundzwanzigjährigen haben wir die ersten Kupferstiche; in den
Jahren der Reife wird er in die unruhige Kunstproduktion eines großen
Herrn undKaifers hineingeriffen, der alleOrgane menschlicherMitteilungs-
fähigkeit in den Dienst der Verherrlichung seines Herrschertums zu stellen
wünscht. Kostbare Jahre vergehen immer wieder mit einem Bestreben,
das uns heute schulmeisterlich und pedantisch dünkt, das abermerkwärdiger-
weise immer wieder bei äugen- und handstarken Künstlern wiederkehrt:
eine Sehnsucht nach Gesetzlichkeit, nach Formeln, Regeln und Massen,
mit denen man die widerspenstige Schönheit beschwören und aufPapier,
Tafel und Leinwand herabzwingen könne, durch zieht dieReihe der Schrif-
ten, die Albrecht Dürer teils in der zweiten Hälfte seines arbeitövollen
Lebens herauöbrachte, teils unvollendet hinterließ.
Als Ringender, dem die allerletzte Erfüllung versagt blieb, steht Dürer
den großen Meistern der italienischen Hochblüte gegenüber. Fast alle
sind sie durch eigeneWerke oderdurchNachzeichnungen, Nachahmungen,
Nachklänge in seinen Gesichtskreis getreten. Und wenn man Dürer auch
an keiner Stelle nachsagen kann, daß er zum beschämt beschenkten Neh-
mer geworden sei, daß er sich widerstandslos ergeben habe, so finden wir
wohl auch nirgends die tanzende Helle, den schimmernden Marmorglanz
der höchsten Meister von Venedig und Florenz bei ihm wieder.
Noch ein anderes tritt zwischen Dürer und das Aufnahmevermögen
einer Zeit, die den ungehemmten Leidenschaftsausdruck, die schrankenlose
Hingabe an das Erlebnis des großen Augenblicks als die höchste Erfüllung
feiern will. Wenn wir von einzelnen Werken seiner erwachsenen Jugend
absehen, so stört uns allzuhäufig eine Überlegsamkeit, die die Form aus
der gewissenhaften Ergründung heraus bewältigen will und selten den
Impuls ungeprüft über die Schwelle läßt. Man hat die Fahne eines
Mathias Grünewald, der eigentlich in einem einzigen Werke sich aus-