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Molsdorf, Wilhelm; Heitz, Paul [Hrsg.]
Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts (Band 12): Die niederländische Holzschnitt-Passion Delbecq-Schreiber [Teil 1] — Straßburg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.21232#0020
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Bl. 5—6: Das Verhör vor Hannas und
Kaiphas (Sehr. 232 u. 239).

Dem Verhör ist in unserer Passion ein weiter Raum
gewährt, aber nicht gerade zum Vorteil; denn es läßt
sich nicht leugnen, daß die Häufung der Gerichtsszenen
etwas ermüdendes hat, um so mehr, da sich der Vorgang
vor dem geistlichen Tribunal fast in derselben Weise
abspielt wie vor dem weltlichen (vergl. Bl. 8 u. 12): links
der Richter, rechts Christus in Begleitung zweier oder dreier
Schergen. Dagegen ist die Zurückhaltung anzuerkennen,
die sich der Formschneider in dem Betragen der Kriegs-
knechte Christo gegenüber auferlegt hat, denn bekannt-
lich sind gerade diese Szenen in der mittelalterlichen
Kunst der Tummelplatz rohester Leidenschaften geworden.

Abb. 4.

Bl. 7: Die Verspottung Christi (Sehr. 253).

Der Holzschnitt hält sich im ganzen an die her-
kömmliche Auffassung, zeigt aber im einzelnen eine Reihe
recht bemerkenswerter Züge. Dahin gehört die obszöne
Haltung der Faust mit dem zwischen Zeige- und Mittel-
finger gesteckten Daumen, die der Christum anspeiende
Soldat ausführt.1 Auch noch in anderer Hinsicht in-
teressiert uns diese Figur, nämlich wegen der Ketten-
form des Armzeuges mit der herzförmigen Ellbogenkachel.
Ein ganz ähnliches Stück der Rüstung finden wir wieder-
holt auf Kupferstichen eines um 1476 tätigen Künstlers
der burgundisch-vlämischen Schule, den man nach dem
Inhalt seiner erhalten gebliebenen Blätter als «Meister der
Boccacciodarstellungen» zu bezeichnen pflegt.2

t Derselbe Zug findet sich auch auf der entsprechenden Darstellung in
Dürers kleiner HMzschnittpassion.

2 Passavant: Peintn-graveur II, 276 Nr. 8 und 277. Nr. 10. — Auch
auf dem bei W. Schmidt: Die frühesten und seltensten Druckdenkmale des
Holz- und Metalischnittes als Nr. 81 wiedergegebenen, wohl französischen

Nicht minder bemerkenswert ist auf der anderen
Seite die Person, die vor Christo niederkniet, um ihm
unter Lüftung der Kopfbedeckung etwas zu überreichen.
Schreiber erblickt in dem Gegenstande eine Tasche,
doch kann ich mich dieser Deutung nicht anschließen.
Wie die beigegebene Abbildung (3) der Szene aus dem
Speculum h. s. zeigt, findet sich hier genau dieselbe
Figur mit dem gleichen Gegenstande in der Hand, nur
ist er etwas deutlicher gezeichnet. Meines Erachtens
kann es sich dabei nur um einen mit einem Siegel ver-
sehenen Brief handeln. Den Sinn, der in dieser Form
der Verhöhnung liegen soll, deutet man wohl am unge-

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zwungensten, wenn man die Person für einen Bittsteller
ausgibt. Dagegen vermag ich die Quelle, aus der die
bildliche Darstellung geschöpft hat, nicht anzugeben.1 Der
Passionsbühne scheint der Vorgang fremd zu sein.

B1.8: Das erste Verhör vor Pilatus (Sehr. 259).
Das Bild hält sich ganz an die übliche Darstellungs-
art dieses Vorganges.

Bl. 9: Die Geißelung Christi (Sehr. 297).

Abgesehen von d^r Knebelung Christi am Halse
und der linken Schulter enthält der Holzschnitt nichts
außergewöhnliches.

Schrotblatte einer Kreuzigung- Christi (Sehr. 2339) findet sich ein ähnliches
Armzeug. — Zu der herzförmigen-Ellbogenkachel vergleiche die Rüstung
Gottfrieds von Bouillon auf einem Holzschnitte, der dem Texte nach aus der
Picardie stammen dürfte (Bouchot. a. a. O., Nr. 1S-1).

1 Auch auf dem Holzschnitte der Dornenkrönung in den Fürstl. Fürsten-
bergischen Sammlungen (Schreiber, a. a. O., Nr. 8) ist Christo ein mir un-
erklärlicher Gegenstand in die Hand gelegt.

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