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Molsdorf, Wilhelm; Heitz, Paul [Editor]
Einblattdrucke des fünfzehnten Jahrhunderts (Band 12): Die niederländische Holzschnitt-Passion Delbecq-Schreiber [Teil 1] — Straßburg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.21232#0026
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den Bauern auf dem Saturnus-Blatt eines wiederum nieder-
ländischen Blockbuches über die «Wirkung der Planeten»
das Gegenstück.1 Auch auf das Gewand des burgundi-
schen Edelmannes, das Joseph von Arimathia bei der
Kreuzabnahme (Bl. 18) trägt, und auf die von den nieder-
ländischen Frauen bevorzugte, wulstige, in der Mitte er-
höhte Haube der Maria Magdalena (Bl. 17 u. 19) sei auf-
merksam gemacht. Schließlich entspricht auch die bei
Innenräumen regelmäßig wiederkehrende schwarz-weiße
Täfelung des Fußbodens einer von niederländischen Form-
schneidern gepflegten Gewohnheit.

Mit der Aufführung dieser Momente scheint mir der
Beweis für die Herkunft der Passion aus den Nieder-
landen erbracht, und es sei nur noch erwähnt, daß auch
Schreiber dieser Auffassung zuzuneigen scheint, wenn er
den Ort der Entstehung der Passion am Niederrhein sucht.

Da die Holzschnitte, wie bereits erwähnt, schon am
Ende des 15. Jahrhunderts als Bilderschmuck für ein An-
dachtsbuch verwendet wurden, ist natürlich jeder Aufschluß
über die Herkunft dieser Handschrift für die Beurteilung
unseres Resultates von erheblicher Bedeutung.

Leider bieten die Textfragmente selbst keinen bestimm-
ten Anhaltspunkt, aus dem sich ein sicherer Schluß auf den
Ort der Entstehung ziehen ließe. Das für die Frage nach
der Provenienz besonders wichtige Kalendarium ist in
den Bruchstücken nicht enthalten; bis auf die beiden
ersten gehören die Blätter sämtlich dem der Passionsbe-
trachtung gewidmeten Teile an, der die Ueberschrift
trägt: Incipiunt centum meditationes passionis domini Jesu
Christi, quas quilibet devotus Christi discipulus quotidie i
debet devota mente persolvere ac in eisdem domino
suo se conformare. Auch Namen von Heiligen, die unter
Umständen einen Anhaltspunkt für die Lokalisierung
geben könnten, kommen in den Fragmenten nicht vor.

So sind wir denn für die örtliche Bestimmung
lediglich auf die Eigentümlichkeiten der Schrift angewiesen,
und diese widersprechen in keiner Weise der Annahme
einer niederländischen Herkunft. Nicht nur in ihrem
Charakter zeigt die Schrift eine große Verwandtschaft
mit Proben von zweifellos aus den Niederlanden stammen-
den Handschriften, wie sie etwa Jan ten Brink's «Ge-
schiedenis der nederlandsche Letterkunde» bringt, auch
bei der Ligierung von Buchstaben bleibt der Schreiber
durchaus einer von den Niederländern beobachteten Ge-
wohnheit treu. Er verbindet nämlich nicht, wie die ro-
manischen Schreiber, alles, was sich verbinden läßt,
sondern hält sich an das deutsche Prinzip einer kleinen,
aber bestimmten Anzahl von Ligierungen."2

1 Abgebildet bei Ad. Bartels: Der Bauer in der deutsch. Vergangen-
heit (Monographien z. deutsch. Kulturgeschichte VI). Leipzig 1900. S. 11. —
Auch auf dem Kupferstiche des Abendmahles vom Meister von Zwolle lindct
sich eine ganz ahnliche Kappe.

2 Vgl. Wilhelm Meyer aus Speyer: Die Buchstabenverbindungen der
sog. gotischen Schrift (— Abhandlungen der K. Gesellsch. d. Wiss. zu Göt-
tingen. Philol.-hist. Klasse. N. F. Bd. 1, Nr. 6). Berlin 1S97. S. 23f. und Höf.

Direkt aber wird der niederländische Ursprung der
Handschrift bestätigt durch die Angabe des Kataloges der
Delbecq'schen Sammlung, wonach das Andachtsbuch der
h. Godoleva gewidmet war. Denn die sich auf Flandern
beschränkende Verehrung der Heiligen berechtigt uns, auch
die Entstehung der Handschrift in jener Gegend zu suchen;
und zwar werden wir kaum fehl gehen, wenn wir ihren
Ursprung mit dem Benediktinerorden in Verbindung bringen.
Jedenfalls legt die erwähnte Verwendung des Kupferstiches
der h. Godoleva in Begleitung des h. Benedikt und seiner
Schwester der h. Scholastika, der beiden Gründer der
Benediktinerkongregationen, als Buchschmuck einen solchen
Schluß sehr nahe.

Daß aber auch die Quelle, aus der die Illustrationen
stammten, nicht allzufern von dem Orte der Entstehung
der Handschrift gelegen haben wird, ist eine von vorn-
herein sehr wahrscheinliche Annahme, die aber noch durch
einen der Holzschnitte eine direkte Bestätigung erfährt,
insofern nämlich der gleichfalls aus unserem Andachts-
buche herausgeschnittene, jetzt in der Pariser National-
bibliothek befindliche Kruzifixus (Bouchot Nr. 39) sich
selbst als Genter Erzeugnis ausgibt.

Die zwanzig Blätter der Passion hinterlassen jeden-
falls den Eindruck, daß uns hier die Arbeit eines Meisters
vorliegt, der von seiner Kunst eine wesentlich andere
Auffassung hatte als die große Menge der den Holzschnitt
rein handwerksmäßig ausübenden Formschneider des 15.
Jahrhunderts. Allerdings für einen originellen Künstler
\ dürfen wir ihn auf Grund der zahlreichen Entlehnungen
nicht ausgeben. Da sich in nicht weniger als neun Fällen
die Quellen, aus denen er geschöpft hat, mit Sicherheit
nachweisen lassen, so besteht der Verdacht nicht zu Un-
recht, daß vielleicht auch noch diesem oder jenem Bilde
eine unbekannte Vorlage zugrunde liegt. Trotzdem wäre
es sehr ungerecht, ihn der großen Zahl jener Kopisten zu-
zurechnen, die einfach ihre Muster auf dem Holzstocke
abzeichnen, ohne sich auch nur darüber Gedanken zu
machen, daß dann beim Abdrucke oft in recht sinnwid-
riger Weise rechts und links vertauscht wird.

Schon der Umstand, daß er sich nicht sklavisch an
I eine Quelle hält, obgleich das Speculum h. s. allein ihm
die für die Darstellung einer Passion ausreichenden Vor-
bilder an die Hand gab, sondern an mehreren Orten seine
Auswahl trifft, spricht für sein Streben nach möglichster
Vollkommenheit. Wenn er aber mehrfach sogar bloß eine
einzelne, besonders charakteristische Figur von fremder
Hand übernimmt, so offenbart sich darin ein feines künst-
lerisches Verständnis, das sich auch noch in anderer Hin-
sicht bemerkbar macht. Im Gegensatze zu der dem Ge-
schmacke der damaligen Zeit entsprechenden Richtung,
die Passionsgeschichte als einen besonders dankbaren
Vorwurf für die Darstellung der rohesten Leidenschaften

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