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Ehmer, Hermann; Stadtarchiv <Schwäbisch Gmünd> [Hrsg.]
Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd — Stuttgart, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.42374#0292
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Kulturelles Leben im 17. und 18. Jahrhundert

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erweist sich als tüchtiger, auf der Höhe seiner Zeit stehender Musiker . . . Das
Klangkolorit . . . weist noch auf die Bach-Händel-Zeit; die empfindsame Behand-
lung der Melodie und die klare Tonika-Dominant-Akkordik klingen durchaus schon
mozartisch . . .«, so urteilte damals ein Musikkritiker.11
An das Passionsspiel schloß sich am nächsten Tag die Karfreitagsprozession an. Das
Programm vom Jahre 1773 gibt einen anschaulichen Eindruck von der barocken
Pracht, der phantastischen Figurenfülle und dem Einfallsreichtum der Prozession.12
In jenem Jahr beteiligten sich 109 Gruppen, die zu neun »Figuren« zusammengefaßt
waren. Das bittere Leiden Jesu Christi war das zentrale Thema. An der Spitze des
Zuges ritt ein schwarzgekleideter Rittmeister, der sich einen Trauerflor über das
Gesicht gezogen hatte, ihm folgten ebenfalls schwarzgekleidete Trompeter, Heer-
pauker und Hornisten, die Standarten mit sich führten. Auf den Fahnen las man fol-
gende Inschriften: Er ist verwundet um unserer Missetat willen. Eine andere Inschrift
lautete: Er ist um unserer Sünden willen zerschlagen worden! Die nächste Gestalt
stellte die frohlockende Welt Fleisch und Teufel dar, und am Schluß dieser Gruppe
folgte der Baum der Wissenschaft, der sinnigerweise von der Figur des Neides getra-
gen wurde. Auch hier wurde den Zuschauern die moralische Nutzanwendung nicht
vorenthalten: Durch den Neid des Teufels ist der Tod in die Welt gekommen.13 Auf
diese Eingangsgruppe folgten die verschiedenen Figuren; eine bunte Menge von
Menschen zu Fuß und zu Pferd zog durch die engen Gassen der alten Reichsstadt,
Allegorisches und Historisches, antike und christliche Elemente, alttestamentarische
Szenen und Darstellungen aus dem Neuen Testament verbanden sich zu einem
manchmal abstrus und wunderlich wirkenden Schauspiel. Feierliche Musik ertönte,
fromme Fieder wurden von den Gläubigen angestimmt, und die Flammen der Pech-
pfannen tauchten die hereinbrechende Nacht in ein theatralisches Ficht. Da sah man
Adam und Eva mit der Schlange, so einen Apfel im Maul, die sich um einen Baum
gewunden hatte, Tod und Teufel als herrscherliche Reiter mit Krone und Zepter,
Christus den guten Hirten mit Famm und Hirtenstab, weinende Frauen, die Toten-
köpfe in den Händen hielten, die Gerechtigkeit mit einer Waage, die Gestalt der
Hoffnung, begleitet von sieben Schäfern, Friedrich den Schönen von Österreich und
Knut von Dänemark und den harfenspielenden König David, den Verräter Judas,
Malchus mit der Faterne, den von den Philistern verspotteten herkulischen Samson,
die Braut aus dem Hohen Fied, die arme Genoveva in Fesseln, Isaak, der eigenhän-
dig Holz für seine Opferung herbeischaffte, die totgeweihte Maria Stuart von
Bewaffneten geführt, den kreuztragenden Heiland mitten unter den Juden, Kain und
Abel und Kaiser Konstantin mit dem Kreuz. Schließlich wurde in der neunten Figur
Christus am Kreuze hängend dargestellt, an das auch Tod und Teufel angeschmiedet
waren. Den Beschluß machte der Stiftsdekan, ein wohlweiser Magistrat, die von
 
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