Fortgesetzte Naturnotiz
Martin Walser
Die Leere innen, die Fülle außen. Der Druck
der Fülle auf die Leere, die die Fülle nicht
einläßt, aber sich durch sie ablenken läßt
von sich. Das ist mein Verhältnis zur Natur.
Die Leute, die Sonnenuntergänge schön
finden, habe ich immer angestaunt. Sie
kamen mir vor wie die, die in der Kirche ein
frommes Gesicht machen. Allmählich ahne
ich, daß die Szene mit rotgoldener Sonnen-
spur auf violettem Wasser und braunblauen
Hügeln, hinter denen die glühende Scheibe
versackt, wegen ihrer Ablenkungskraft als
schön empfunden wird. Von uns genügt ein
Seufzen. Offenbar entsteht dieses Seufzen
aus dem Druck der Fülle auf die Leere. Natur-
schönheit tut weh. Noch genauer gesagt:
tut irgendwie weh. Die einzige Möglichkeit,
einen Druckausgleich zwischen innen und
außen anzubahnen, wäre wahrscheinlich
Tätigkeit. Erinnere dich: wenn du abends
auf der Sonnenspur der versackenden
Scheibe nachschwimmst und vom Dunkel-
glast des Wassers mit jedem Zug etwas ins
Licht sprühst, ist die Schönheit kein Problem.
Schwimmend produzierst du sie.
WV 2 - 328, 330, 324
Tage auf Bornholm
1983
Aquarell, Sand, Papier
38 x 50 cm
27
Martin Walser
Die Leere innen, die Fülle außen. Der Druck
der Fülle auf die Leere, die die Fülle nicht
einläßt, aber sich durch sie ablenken läßt
von sich. Das ist mein Verhältnis zur Natur.
Die Leute, die Sonnenuntergänge schön
finden, habe ich immer angestaunt. Sie
kamen mir vor wie die, die in der Kirche ein
frommes Gesicht machen. Allmählich ahne
ich, daß die Szene mit rotgoldener Sonnen-
spur auf violettem Wasser und braunblauen
Hügeln, hinter denen die glühende Scheibe
versackt, wegen ihrer Ablenkungskraft als
schön empfunden wird. Von uns genügt ein
Seufzen. Offenbar entsteht dieses Seufzen
aus dem Druck der Fülle auf die Leere. Natur-
schönheit tut weh. Noch genauer gesagt:
tut irgendwie weh. Die einzige Möglichkeit,
einen Druckausgleich zwischen innen und
außen anzubahnen, wäre wahrscheinlich
Tätigkeit. Erinnere dich: wenn du abends
auf der Sonnenspur der versackenden
Scheibe nachschwimmst und vom Dunkel-
glast des Wassers mit jedem Zug etwas ins
Licht sprühst, ist die Schönheit kein Problem.
Schwimmend produzierst du sie.
WV 2 - 328, 330, 324
Tage auf Bornholm
1983
Aquarell, Sand, Papier
38 x 50 cm
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