Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Enzweiler, Jo [Hrsg.]
Paul Antonius, Malerei, 1954 - 2005: Aufsätze und Werkverzeichnis ; [anläßlich der Ausstellung Paul Antonius. In ein Anderes Blau. Bildflügel, Saarland-Museum Saarbrücken, 26. August bis 9. Oktober 2005] — Saarbrücken, 2005

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4363#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Phantasie und Bild

Zur Kunst von Paul Antonius

Lorenz Dittmann

„Phantasie" und „Bild", das in diesen beiden
Begriffen Gemeinte soll zum Verständnis der
Kunst von Paul Antonius dienen.
Paul Antonius' Kunst erscheint mir in beson-
derer Weise als von Phantasie bestimmt, und
es gilt, die Eigenart dieser Phantasie genauer
zu fassen.

Allgemeine Erläuterungen zum Begriff
„Phantasie" sind dazu eingangs unerläßlich.

Phantasie

Es existieren unterschiedliche Auffassungen
über „Phantasie", und „Phantasie in der
Kunst".

Eine prägnante formulierte Max Liebermann
(1847 - 1935) in seinem erstmals 1916 in
Buchform publizierten Aufsatz „Die Phan-
tasie in der Malerei". Einleitend schreibt
Liebermann: „Ich bin mir wohl bewußt, das
Wort 'Phantasie', von dem die folgenden
Seiten handeln, in einem dem landläufigen
abweichenden Sinne gebraucht zu haben,
und ich hätte es gern mit einem passenderen
Wort vertauscht, wenn ich eins gefunden
hätte. Im allgemeinen bezeichnet man mit
Phantasie die Einbildungen unsres Gehirns,
das Imaginäre, das ein nicht Existierendes
vorzaubert. In dieser Bedeutung kann man
Phantasie überhaupt nicht anwenden auf
die Malerei, die nichts erfinden kann oder
soll, was nicht in der Natur existiert oder
wenigstens existieren könnte. Ich möch-
te der Phantasie mehr die Bedeutung, die
das Wort im Griechischen hatte, beilegen:
Phainomenon, Erscheinung. Der Maler will
das ihm vorschwebende Bild zur Erscheinung
bringen, er will die Erscheinung auf die Lein-
wand projizieren, wobei es ganz gleichgültig
ist, ob ihm das Bild vor seinem geistigen oder
leiblichen Auge schwebt. Denn beides ist im
Grunde dasselbe: der Maler kann nur malen,
was er zu sehen glaubt, ob er sein Bild im
Geiste oder in der Natur sieht.
Aus-der Phantasie-Malen steht also in

keinem Gegensatze zum Nach-der Natur-
Malen, denn es sind nur zwei verschiedene
Wege, die nach demselben Ziele führen sol-
len. Noch falscher aber wäre die Annahme,
die nicht nur im Publikum, sondern leider
auch in der Ästhetik immer noch besteht,
als ob der Maler, der aus der Phantasie malt,
mehr mit der Phantasie malt, als der, welcher
nach der Natur malt.
Je naturalistischer eine Malerei ist, des-
to phantasievoller muß sie sein, denn die
Phantasie des Malers liegt nicht - wie noch
ein Lessing annahm - in der Vorstellung von
der Idee, sondern in der Vorstellung von
der Wirklichkeit oder, wie Goethe es tref-
fend ausdrückt: 'Der Geist des Wirklichen
ist das wahrhaft Ideelle.' Daher bedeutet
idealistische Malerei im Gegensatz zur na-
turalistischen Malerei nur die verschiedene
Auffassung der Natur, aber keinen Qualitäts-
unterschied: die Qualität beruht einzig und
allein in der größeren oder geringeren Kraft
der Phantasie des Malers, mag er nun wie
Raffael eine Madonna oder wie Rembrandt
einen geschlachteten Ochsen malen. Natür-
lich kann ich nicht mit mathematischer Ge-
nauigkeit beweisen wollen, warum der eine
Meister mehr Phantasie hat als der andere.
Ich kann nur sagen wollen, warum ich ein
Porträt von F. Hals für phantasievoller halte
als einen Holbein. Und wenn ich sage, daß
ich in Frans Hals den phantasievollsten Maler
sehe, der je gelebt hat, so wird vielleicht
klarer, was ich unter malerischer Phantasie
verstehe: die den malerischen Mitteln am
meisten adäquate Auffassung der Natur.
Jede Kontur, jeder Pinselstrich ist Ausfluß
einer künstlerischen Konvention. Je sugges-
tiver die Konvention wird, je ausdrucksvoller
durch die Form oder die Farbe oder beides
zusammen der Maler sein inneres Gesicht
auf die Leinwand zu bringen imstande ist,
desto größere, stärkere Phantasietätigkeit
war zur Erzeugung seines Werkes nötig. [...]
Die Phantasie in der bildenden Kunst geht
von rein sinnlichen Voraussetzungen aus.
Sie ist die Vorstellung der ideellen Form für
die reelle Erscheinung. Sie ist das notwendi-
ge Kriterium für jedes Werk der bildenden

15
 
Annotationen