Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Enzweiler, Jo [Hrsg.]
Paul Antonius, Malerei, 1954 - 2005: Aufsätze und Werkverzeichnis ; [anläßlich der Ausstellung Paul Antonius. In ein Anderes Blau. Bildflügel, Saarland-Museum Saarbrücken, 26. August bis 9. Oktober 2005] — Saarbrücken, 2005

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4363#0038
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zu den Arbeiten 1980 bis 1990
von Paul Antonius

Cornelieke Lagerwaard

Im Vergleich zu den um 1990 entstandenen
Arbeiten von Paul Antonius springen mir beim
Durchblättern der /Cnautscnzonen-Dokumenta-
tion, 1984 erschienen, sofort zwei Unterschie-
de ins Auge. Erstens haben alle Bilder, die in
der Dokumentation abgebildet sind, noch ein
weitgehend rechteckiges Format, und zwei-
tens verdecken bei diesen älteren Bildern die
Leinwände den ganzen Rahmen. Gegenüber
den Arbeiten ab 1990 folgen sie hierin noch
dem .konventionellen' Begriff von Bild, auch
wenn die auffallend weiße Leere in der Mitte
dem Betrachter schon eine ungewöhnliche
Perspektive darbietet. Bei diesen Bildern sind
die dynamischen bildnerischen Prozesse an die
Ränder gedrückt, sie verdrängen sich dort fast
gegenseitig, sie schlagen Falten, um sich auf der
Bildfläche gerade noch so behaupten zu kön-
nen. In der 1984er Dokumentation wird dieser
Aspekt auf verschiedenste Art in allen Beiträgen
erwähnt.

Sieben Jahre sind seitdem vergangen. War
1984 die geknautschte Bildebene selbst
vorrangig Thema, ist jetzt das Knautschen an
sich zu bildnerischer Methode einer nunmehr
noch stärker inhaltlich thematisierten Kunst
geworden. „Meine Bilder sind Metaphern des
Körpergefühls" schreibt Paul Antonius in seinen
Notizen. Die Leinwand hat sich im Laufe der
Jahre ausgesprochen zur „Haut", das Rahmen-
gerüst zum „Knochengerüst", zum „Skelett"
entwickelt. Der Rahmen spielt in den neuen
Bildern eine weit wichtigere Rolle: er ist immer
an irgendeiner Stelle sichtbar. So wird uns, dem
Betrachter, klargemacht, daß die Haut an sich,
ohne Knochen, noch keine Spannkraft besitzt,
daß sie ein stabiles Knochengerüst braucht,
um sich überhaupt erst „enthalten" zu kön-
nen. Paul Antonius schraubt und zwingt dabei
zuerst den Rahmen zusammen; dann spannt
und zieht er die Leinwand auf den Rahmen auf.
Polyurethan und Silikon werden sozusagen zu
Heisch, Farbe zu Blut. Wenn wir diese Bilder
als „Metaphern des Körpergefühls" auffassen,

dann liegt nahe, daß wir in ihnen Paul Antonius'
persönlichen Körpererfahrungen begegnen. Wir
stehen im Grunde genommen in abstraktem
Sinne einer Reihe von Selbstporträts gegenüber,
die buchstäblich bis „unter die Haut" gehen.
Paul Antonius zeigt uns seine Verletzungen,
seine Spannkraft, seine lärmende Unruhe und
seine Energie. Aber er zeigt auch, eben in der
Mitte, dem „Solarplexus" des Bildes, seine Ruhe
und Momente des Gleichgewichtes, oder: „die
Pause nach der Aktion". Seit dem letzten Jahr
ist diese Pause nicht mehr weiß, sondern grau.
Die bunten Farben verschmelzen in der Mitte
zu „farblosem" Grau; es entsteht ein „graues
Becken", in welchem sich die Farben, die Emo-
tionen, die Erde und der Himmel, der Mythos
und die Entzauberung vermischen.

329 330

Selbst Kassandra
1986 1987
 
Annotationen