Die Doppelnatur der Leinwand
bei Paul Antonius
Lorenz Dittmann
Die Doppelnatur der Leinwand bildet für Paul
Antonius den Ausgangspunkt für die Eröffnung
bildnerischer Möglichkeiten aus dem Span-
nungsfeld von Materialität und Immaterialität
der Leinwand, der Farben, der Bildgehalte, von
Gebilde und Bild, Relief und Malerei.
Dreigliedrig sind die Werke, leer die Mitte, das
Innere, - plastisch geformt, gefaltet die leimge-
tränkten Nesseltücher der oberen und unteren
Teile, auch durchhängend, wegwehend vom
Gerüst der Rahmen.
Lichtung (WV.-Nr. 294): Ströme weißen Lichts
über zartestem Gelb und Grün im Innern, oben
gefaßt in straffen Schrägen, die sich winkelig.
Gelb und Grau in Mulden sammelnd, nach
rechts entspannen, unten ausschwingend in
die Faltenpracht barocker Heiligengewänder ins
Dunkel die Farben überführend: Lichtung als
naturhaftes und geistiges Geschehen.
Epitaph (WV.-Nr. 290): „Über allen Gipfeln ist
Ruh...", Grüngrau, Blaugrau, Braunviolett öff-
nen sich zum weiß zur Mitte, zum unausmeß-
baren Lichtraum über Bergeshöhn. „Warte nur:
balde ruhest du auch"-, zum Epitaph schichtet
sich das Rahmengefüge, mit eingedrücktem
oberen Aufsatz, mit Faltungen im milden Trau-
erklang - Doppelung und Einstimmung von
Natur und Mensch, Leben und Tod.
Maya (WV.-Nr. 307): Nackt und bekleidet
zugleich, in der Ambivalenz von Enthüllen und
Verbergen, - enthüllendem Verbergen: zarte
Stoffe lassen den Körper ahnen, - verbergender
Enthüllung: blendende Nacktheit entrückt den
Leib in maskenhaftes Weiß. Wie im Tanze wie-
gend ist hier die Rahmung gefügt, geschmeidig
und spröde zugleich. Es zeigt sich der Leib in
verführerischem Zauber wie in seiner Verletz-
barkeit, preisgegeben dem Vergehen.
Zone Froissee (WV.-Nr. 310): Wellenförmig
breiten die Falten sich aus, überstrahlt von
gleißendem Licht, das die weiße Mitte entsen-
det. Hier schäumt ein Wellenkamm auf, verliert
sich dann die See in eine unendliche Ferne, die
offene weiße Weite. Segelartig schließen die
Faltungen das Bild nach oben hin ab. Je anders
verbinden sich die leeren Mitten mit ihren
gefalteten Bekrönungen und Fundamenten
zu rhythmischen Konfigurationen, das Weiß in
seiner Einfachheit und Stille mit der Vielfalt der
Buntfarben. Im Innern wird die Farbe raum-
haft, immateriell, in den Faltungen aber zur
Kundgabe von Oberflächen, Materiestrukturen.
Zugleich wird sie hier expressiv, in Analogie
oder Kontrast zur Faltensprache selbst: pathe-
tisch, ja theatralisch, oder versonnen, zart, frisch
oder welk, geologisch oder anthropomorph,
vornehmlich aber als Übergang vom einen ins
andere, als Medium einer alles ergreifenden
Metamorphose.
Seit den 1960er Jahren kreist Paul Antonius'
Schaffen um die bildnerische Thematik dichter
Rahmung einer leeren Mitte. Plastisch werden
die Rahmenformen in den siebziger Jahren. Die
Werke von 1985 und 1986 steigern die Kraft
und Differenzierung der Faltengebärden wie
den Ausdruckswert der Rahmengerüste.
Mit seiner Methode der Entgegensetzung
glatter und gefalteter Leinwandstücke und
entsprechender farbiger Erscheinungsweisen
gelingt Paul Antonius eine neue Synthese des
Bild- und Dinghaften, des Expressiven und
Antisubjektiven, die eine schier unerschöpfliche
Gestaltungs- und Assoziationsvielfalt aus sich
entläßt - kann er doch die Doppelnatur der
Leinwand vertiefen zum Erscheinungsmedium
der Doppelnatur, der Polarität des Seienden
selbst, in seiner Spannung zwischen Nähe und
Ferne, Enge und Weite, Vertrautheit und Frem-
de, seiner Gegenwart und Verborgenheit.
307
Maya
1985
■
bei Paul Antonius
Lorenz Dittmann
Die Doppelnatur der Leinwand bildet für Paul
Antonius den Ausgangspunkt für die Eröffnung
bildnerischer Möglichkeiten aus dem Span-
nungsfeld von Materialität und Immaterialität
der Leinwand, der Farben, der Bildgehalte, von
Gebilde und Bild, Relief und Malerei.
Dreigliedrig sind die Werke, leer die Mitte, das
Innere, - plastisch geformt, gefaltet die leimge-
tränkten Nesseltücher der oberen und unteren
Teile, auch durchhängend, wegwehend vom
Gerüst der Rahmen.
Lichtung (WV.-Nr. 294): Ströme weißen Lichts
über zartestem Gelb und Grün im Innern, oben
gefaßt in straffen Schrägen, die sich winkelig.
Gelb und Grau in Mulden sammelnd, nach
rechts entspannen, unten ausschwingend in
die Faltenpracht barocker Heiligengewänder ins
Dunkel die Farben überführend: Lichtung als
naturhaftes und geistiges Geschehen.
Epitaph (WV.-Nr. 290): „Über allen Gipfeln ist
Ruh...", Grüngrau, Blaugrau, Braunviolett öff-
nen sich zum weiß zur Mitte, zum unausmeß-
baren Lichtraum über Bergeshöhn. „Warte nur:
balde ruhest du auch"-, zum Epitaph schichtet
sich das Rahmengefüge, mit eingedrücktem
oberen Aufsatz, mit Faltungen im milden Trau-
erklang - Doppelung und Einstimmung von
Natur und Mensch, Leben und Tod.
Maya (WV.-Nr. 307): Nackt und bekleidet
zugleich, in der Ambivalenz von Enthüllen und
Verbergen, - enthüllendem Verbergen: zarte
Stoffe lassen den Körper ahnen, - verbergender
Enthüllung: blendende Nacktheit entrückt den
Leib in maskenhaftes Weiß. Wie im Tanze wie-
gend ist hier die Rahmung gefügt, geschmeidig
und spröde zugleich. Es zeigt sich der Leib in
verführerischem Zauber wie in seiner Verletz-
barkeit, preisgegeben dem Vergehen.
Zone Froissee (WV.-Nr. 310): Wellenförmig
breiten die Falten sich aus, überstrahlt von
gleißendem Licht, das die weiße Mitte entsen-
det. Hier schäumt ein Wellenkamm auf, verliert
sich dann die See in eine unendliche Ferne, die
offene weiße Weite. Segelartig schließen die
Faltungen das Bild nach oben hin ab. Je anders
verbinden sich die leeren Mitten mit ihren
gefalteten Bekrönungen und Fundamenten
zu rhythmischen Konfigurationen, das Weiß in
seiner Einfachheit und Stille mit der Vielfalt der
Buntfarben. Im Innern wird die Farbe raum-
haft, immateriell, in den Faltungen aber zur
Kundgabe von Oberflächen, Materiestrukturen.
Zugleich wird sie hier expressiv, in Analogie
oder Kontrast zur Faltensprache selbst: pathe-
tisch, ja theatralisch, oder versonnen, zart, frisch
oder welk, geologisch oder anthropomorph,
vornehmlich aber als Übergang vom einen ins
andere, als Medium einer alles ergreifenden
Metamorphose.
Seit den 1960er Jahren kreist Paul Antonius'
Schaffen um die bildnerische Thematik dichter
Rahmung einer leeren Mitte. Plastisch werden
die Rahmenformen in den siebziger Jahren. Die
Werke von 1985 und 1986 steigern die Kraft
und Differenzierung der Faltengebärden wie
den Ausdruckswert der Rahmengerüste.
Mit seiner Methode der Entgegensetzung
glatter und gefalteter Leinwandstücke und
entsprechender farbiger Erscheinungsweisen
gelingt Paul Antonius eine neue Synthese des
Bild- und Dinghaften, des Expressiven und
Antisubjektiven, die eine schier unerschöpfliche
Gestaltungs- und Assoziationsvielfalt aus sich
entläßt - kann er doch die Doppelnatur der
Leinwand vertiefen zum Erscheinungsmedium
der Doppelnatur, der Polarität des Seienden
selbst, in seiner Spannung zwischen Nähe und
Ferne, Enge und Weite, Vertrautheit und Frem-
de, seiner Gegenwart und Verborgenheit.
307
Maya
1985
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