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Enzweiler, Jo [Hrsg.]
Paul Antonius, Malerei, 1954 - 2005: Aufsätze und Werkverzeichnis ; [anläßlich der Ausstellung Paul Antonius. In ein Anderes Blau. Bildflügel, Saarland-Museum Saarbrücken, 26. August bis 9. Oktober 2005] — Saarbrücken, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.4363#0017
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Kunst, für das idealistischste wie für das
naturalistischste. Sie allein kann uns über-
zeugen von der Wahrheit der Böcklinschen
Fabelwesen wie des Manetschen Spargel-
bundes. [...]

Alles in der Kunst ist Qualität, und die Quali-
tät des Kunstwerkes hängt von dem Quan-
tum von Phantasie, die es erzeugte, ab, denn
nur die von der Phantasie erzeugte Form ist
lebendig. Aber die Phantasie erfindet nicht
die Form - denn die ist von Anbeginn der
Kunst vorhanden, wie in der Poesie das Wort
und in der Musik der Ton, sondern der Aus-
druck für die Form, das heißt die Technik.
Nicht die Form ist das Originelle, sondern die
künstlerische Originalität beruht darin, wie
die Phantasie zur Form geworden ist. [...]"
So wichtig Liebermanns Beharren auf der
„Phantasie des Pinselstrichs" auch ist, man-
che seiner Begriffe - „Wahrheit", „Erfah-
rung", „Form" z.B. - bleiben unklar und
bedürften weiterer Klärung.

Eine viel schwieriger zu verstehende, aber
auch viel genauere und differenziertere Auf-
fassung von Phantasie erarbeitete Edmund
Husserl (1859 - 1934) in seinen phänomeno-
logischen Untersuchungen. Wie Liebermann
wandte sich auch Husserl den Phänomenen,
den Erscheinungen zu, aber er entfaltete de-
ren Vielfalt theoretisch ungleich genauer als
dieser (in seinem Denken vielleicht vergleich-
bar dem Malen Liebermanns).
Wie bei keinem anderen Philosophen steht
bei ihm die Anschauung und die durch sie
vermittelte Evidenz im Zentrum aller denke-
rischen Bemühungen. So ist es angemessen,
sie, bei aller Schwierigkeit, für ein Verständ-
nis von Kunst zu erschließen.
In vielen Texten umkreiste Husserl die Phäno-
mene „Phantasie", „Bild" und Verwandtes.
Eine vergleichsweise späte Ausformulierung
findet sich in Husserls im Wintersemester
1923/24 gehaltenen Freiburger Vorlesungen
über „Erste Philosophie", und zwar in deren
zweiten Teil, der „Theorie der phänomenolo-
gischen Reduktion" gewidmet.
Es geht Husserl entscheidend darum, alles
erfahrungsmäßig Gegebene als Bewußtseins-

phänomene zu erfassen, und zwar nicht
psychologisch, sondern in seinen Wesenszu-
sammenhängen. Für alle wie wir naiv Dahin-
lebenden bedeutet dies eine Umwendung
des Blicks auf das seiner selbst bewußte
Subjekt, aber nicht um das weltlich Gegeben
zu destruieren, sondern letztlich, um das
Subjekt in seiner Vernunft-Verantwortung
für die Welt zu erfassen und einen Logos der
Welt zu erkennen und zu bewahren.
In den genannten Vorlesungen kommt Hus-
serl auch auf das Bild als Abbild zu sprechen
und geht wie immer aus vom anschaulich
schlicht Erfahrbaren: „Im photographischen
oder sonstigen Porträtbilde stellt sich mir
etwa eine Person als Wirklichkeit dar, in
einem anderen Bilde ein Zyklopenkampf,
als Phantasie. Aber jedenfalls, es stellt sich
dar, und mir dar, sofern ich und nur dadurch
daß ich im Akte des Bildsehens Darstellen-
des und Dargestelltes habe: erscheinendes
Bild und - nicht daneben, sondern in ihm
-sich darstellendes sujet. Dasselbe sagt: Nur
dadurch ist dieses Ineinander für mich in
seiner Eigenheit da, daß es mir im naiven Akt
des Bildbewußtseins vermöge seiner Eigen-
heit so gilt. Dabei haben wir aber unter dem
Titel 'Bild' noch Verschiedenes in eins. Das
photographische 'Bild', das Ding aus Papier,
das auf dem Tisch hier liegt, und in anderem
Sinn das sinnenanschaulich vorschwebende
violette Figürchen als das eigentliche Bild,
das nichts weniger als ein real daseiendes
Ding ist, und worin sich das sujet 'Person'
darstellt. So sehe ich naiv je nach Einstellung
bald auf dieses, bald auf jenes hin, in den
entsprechenden Aktvollzügen."
Dann betrachtet Husserl „die Akte der
reproduktiven Phantasie, mit den in ihnen
bei naivem Phantasieren vorschwebenden
Phantasiegestalten, bald unwillkürlich sich
einstellenden, bald in freier Willkür gebilde-
ten. So sehr wir auch hier von 'Bildern' der
Phantasie sprechen, rechtmäßig kann dabei
von so etwas wie bildlicher Darstellung, mit
einer Scheidung zwischen Abbildendem und
Abgebildetem oder Bild und sujet, gar keine
Rede sein. Freilich, im einen und im anderen
Fall ist in einem gegenwärtigen Erlebnis ein

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