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Evers, Hans Gerhard; Rubens, Peter Paul [Ill.]
Peter Paul Rubens — München, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.28046#0112
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VII. DIE GEWALTTATEN

Auch die Aietamorphoscn verraten einen jugendlichen Geist, einen Entdecker und Aben-
teurer, noch nicht einen Herrscher. Stärker kommt die Jugendlichkeit noch heraus in der
Bildergruppe, die zum erstenmal das innerlichste Rubens-Thema behandelt: das Verhältnis
zwischen Mann und Weib.
Eine Frühgcnialität, wie bei Mozart oder Goethe, ist uns von Rubens nicht bekannt, obwohl
es sie vielleicht gegeben hat. Es ist schon viel, wenn wir lernen, die Gruppen der Verwand-
lungen und der Gewalttaten^) von den späteren Bildern zu trennen und das Jugendliche
darin zu verstehen. Daß im Ganymed ein jugendlicher Körper und ein jugendlicher Kopf
gemalt sind, ist Ausnahme. Denn sonst handelt es sich auch in diesen ersten Bildern schon
um robuste, gewalttätige Männer, und um ein großgewachsenes Frauengeschlecht, das mit
Grausamkeit, fast mit Ungerührtheit seinem Schicksal erliegt oder es zurückwendet.
Alit dem männlichsten Aiann begann das früheste Bild, mit Herkules""). In Hunderten von
Malereien und Bildwerken war seine Gestalt aus dem Altertum überliefert; als das berühm-
teste galt der Torso im Belvedere des Vatikans. Vor ihm standen, der eine hundertfünfzig
Jahre früher als der andre, zwei Menschen mit besonderen Augen, Peter Paul Rubens und
Johann Joachim Winckelmann. In beiden rief das alte Bildwerk ihre eigne schöpferische
Phantasie hervor: nicht nur, mit welchen Gliedern der zerstörte Torso zu ergänzen sei,
sondern auch, in welcher Handlung Herkules hier abgebildet sei. Beide empfanden es: daß
um dieses Bruchstück noch immer ein Strahlenkreis von Leben sei, unsichtbar für gewöhn-
liche Menschen, sichtbar für sie, so daß sie davon berichten konnten"').
Winckelmann. der in seiner Reife vor dieses Bildwerk kam, fand seinen schwer erkämpften
Glauben an die ideale Welt des Altertums bestätigt. Er sah in dem Torso den vergöttlichten
Herkules, ruhend und schon von himmlischer Speise genährt. Jede Muskelwölbung, jedes
Glied schien ihm die Erinnerung an eine Tat zu enthalten, und so beschwor er in seiner
Beschreibung"^) das Gedächtnis dieser Taten, mit allen Namen, als ob er eine pindarische
Hymne sänge; er hüllte den Helden gleichsam ein in den Mantel seines Lebens. „In jedem
Teile dieses Körpers offenbart sich, wie in einem Gemälde, der ganze Held in einer beson-
deren Tat... So vollkommen hat weder der geliebte Hyllus, noch die zärtliche Iole den
Herkules gesehen. So lag er in den Armen der Hebe, der ewigen Jugend, und zog in sich
einen unaufhörlichen Einfluß derselben."
Rubens war Flame und stürmisch, dazu keineswegs gereift, vielmehr etwa vierundzwanzig
Jahre alt. Auch ihm schien der Torso umgeben, aber nicht von Taten, sondern von Frauen.
Er sah in Herkules nicht zuerst den mythischen Helden, sondern den Mann. Herkules schien
ihm nicht in vergöttlichter Gestalt, sondern im Gegenteil in verhöhnter Krümmung dazu-
sitzen, die Muskeln nicht von Ambrosia und Nektar verschönt, sondern im Gegenteil sich
bäumend gegen die Mißhandlung und Fesselung, mehr des Mannestums als der einzelnen
Glieder. Er malte einen Herkules, gepeinigt von Omphale.

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