ihm seine Phantasie in dem kleinen Format noch zum letztenmal: die Drohung, das ganze
Schauspiel, den Kult der Weltgerichtshandlung. So wurde es doch, in einer in Worten kaum
zu beschreibenden Weise, zu einem Erinnerungsbild, nicht mehr zum Wirklichkeitsbild: daß
damals diese Höllenqualen, dieses Jüngste Gericht, der Sturz und das körperliche Leiden
(das seelische Qual bedeutete) unsere Ahnen und Väter umtrieb — ein Werk zwischen
Mitqual und Mitlust, zwischen Mensch und Teufel, zwischen Religion und Märchen.
Immer ging seine Phantasie von dem belebten und bewegten Körper aus, und von der Ge-
wißheit, daß ein mit Intensität gefüllter und geformter Leib schwebe — so daß die gepeinig-
ten Körper trotz aller Wendung in den Abgrund nie in die Tiefe stürzen, sondern so bis in
alle Ewigkeit zwischen Himmel und Hölle schweben — so daß mit einem fürchterlichen
Hin und Her die Flamme der Leiber bald nach unten, bald nach oben zu schlagen scheint.
Vielleicht hatte er eine Trennung in die sieben Todsünden in sieben Gruppen vorbereitet,
mindestens die gefressenen Verfressenen*^) unten sind nicht zu verkennen; dann aber grei-
fen die Teufel mit solcher Wut und Lust zu, und lagern die Körper überall mit solcher
Wucht, daß Zorn, Geiz, Trägheit, Wollust, Neid nicht mehr zu unterscheiden sind. Auch
die Tierphantastik mit langsamer Unheimlichkeit und aufgerissenen Schlündern schob sich
hinein.
Aber während die Höllenangst des mittelalterlichen Menschen allmählich wie ein Spuk
versinkt, dämmern ganz neue Mächte in Rubens' Bild herauf, von denen die Vorgänger
nichts wußten: das Unendliche des Raumes, die Macht des Lichtes — von deren Bedeutung
wir heute, nach dreihundert Jahren, schon mehr begreifen, ohne doch ihren Seelensinn
wirklich abschätzen zu können.
Als Gruppe gehören die Balladen in die Zeit zwischen 1617 und etwa 1621; sie sind ent-
standen auf der Grenze zwischen der hochbarocken Festigkeit und der neuen Ausweitung.
Die zehn kommenden Jahre seines Lebens ließen ihn in wirklichen Taten, in großen Fas-
sungen, den Umkreis dessen ausschreiten, was er in dem Durchbruch um die Wende seiner
Vierzig-Jahre voraus erahnt und in den kleinen Bildern voraus erlebt hatte. So kann man
die Ausmalung der Jesuitenkirche, mit den Deckenbildern, unter deren Himmelsräumen
man hinschritt, die wirkliche Tat, die wirkliche Schaffung eines Kultraumes nennen, den er
in einem „Aufstieg der Sehgen" nur abbildmäßig gegeben hatte, und so kann man die Zeit
seiner politischen Reisen die wirkliche Tat nennen, mit der er dem flandrischen Volke die
Möglichkeit zu weiteren Bauernfesten zu sichern suchte.
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Schauspiel, den Kult der Weltgerichtshandlung. So wurde es doch, in einer in Worten kaum
zu beschreibenden Weise, zu einem Erinnerungsbild, nicht mehr zum Wirklichkeitsbild: daß
damals diese Höllenqualen, dieses Jüngste Gericht, der Sturz und das körperliche Leiden
(das seelische Qual bedeutete) unsere Ahnen und Väter umtrieb — ein Werk zwischen
Mitqual und Mitlust, zwischen Mensch und Teufel, zwischen Religion und Märchen.
Immer ging seine Phantasie von dem belebten und bewegten Körper aus, und von der Ge-
wißheit, daß ein mit Intensität gefüllter und geformter Leib schwebe — so daß die gepeinig-
ten Körper trotz aller Wendung in den Abgrund nie in die Tiefe stürzen, sondern so bis in
alle Ewigkeit zwischen Himmel und Hölle schweben — so daß mit einem fürchterlichen
Hin und Her die Flamme der Leiber bald nach unten, bald nach oben zu schlagen scheint.
Vielleicht hatte er eine Trennung in die sieben Todsünden in sieben Gruppen vorbereitet,
mindestens die gefressenen Verfressenen*^) unten sind nicht zu verkennen; dann aber grei-
fen die Teufel mit solcher Wut und Lust zu, und lagern die Körper überall mit solcher
Wucht, daß Zorn, Geiz, Trägheit, Wollust, Neid nicht mehr zu unterscheiden sind. Auch
die Tierphantastik mit langsamer Unheimlichkeit und aufgerissenen Schlündern schob sich
hinein.
Aber während die Höllenangst des mittelalterlichen Menschen allmählich wie ein Spuk
versinkt, dämmern ganz neue Mächte in Rubens' Bild herauf, von denen die Vorgänger
nichts wußten: das Unendliche des Raumes, die Macht des Lichtes — von deren Bedeutung
wir heute, nach dreihundert Jahren, schon mehr begreifen, ohne doch ihren Seelensinn
wirklich abschätzen zu können.
Als Gruppe gehören die Balladen in die Zeit zwischen 1617 und etwa 1621; sie sind ent-
standen auf der Grenze zwischen der hochbarocken Festigkeit und der neuen Ausweitung.
Die zehn kommenden Jahre seines Lebens ließen ihn in wirklichen Taten, in großen Fas-
sungen, den Umkreis dessen ausschreiten, was er in dem Durchbruch um die Wende seiner
Vierzig-Jahre voraus erahnt und in den kleinen Bildern voraus erlebt hatte. So kann man
die Ausmalung der Jesuitenkirche, mit den Deckenbildern, unter deren Himmelsräumen
man hinschritt, die wirkliche Tat, die wirkliche Schaffung eines Kultraumes nennen, den er
in einem „Aufstieg der Sehgen" nur abbildmäßig gegeben hatte, und so kann man die Zeit
seiner politischen Reisen die wirkliche Tat nennen, mit der er dem flandrischen Volke die
Möglichkeit zu weiteren Bauernfesten zu sichern suchte.
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