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Evers, Hans Gerhard; Rubens, Peter Paul [Ill.]
Peter Paul Rubens — München, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.28046#0347
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in sich gesehen und wollen wir nicht in ihm sehen. Er hätte ein spanischer Staatsmann wer-
den müssen, und warum nicht? Auch Prinz Eugen, Napoleon, Metternich, Moltke traten aus
kleinen Verhältnissen in große über. Spanische Politik in großem Stil wäre gewesen: Got-
tesgnadentumspolitik der Habsburger, Religionspolitik der Gegenreformation, Kolonialpoli-
tik über die Weite des Erdballs. Von all dem war Rubens nicht berührt^). Er mußte schei-
tern, weil er auch als spanischer Gesandter gar nicht spanische Politik machen wollte, son-
dern die Riesenapparatur des spanischen Weltreichs nur handhaben wollte, um seiner klei-
nen Heimat den Frieden zu schaffen. Weil er zwar ein politischer Mensch, aber ohne die
Phantasie einer neuen politischen Ordnung war^"). Weil die Liebe zu seiner Heimat so
groß war, daß er außerhalb Flanderns nicht leben mochte. Daß er mitsamt dieser innersten
Liebe ausgerechnet von flandrischen Menschen beleidigt und zum Verzicht gezwungen
wurde, wollen wir den Verwickelungen und nicht dem einzelnen anredinen^*). Aber wir
sollen ihn für groß und für klug genug halten, daß er diesen Konflikt und dieses Scheitern
gewußt hat.
Und damit werden wir zu seinem Werk zurückkehren. Zyklopisch steht in dem letzten
Jahrzehnt seines Lebens das Nicht-mehr-Vereinbare nebeneinander, das sich nicht mehr
zum Gruppenbau fügt: Liebe zu Flandern, aber Dienst für Madrid; uralte germanische
Landschaft, aber die Mythologie des Mittelmeers; blühende begehrende Liebe, aber Läh-
mung der Glieder, daß er monatelang den Pinsel nicht halten kann. Nie mehr kann ganz
verschmelzen das Altern eines bald Sechzigjährigen und die Jugend einer Frau, die erst
während der Ehe wirklich sich entfaltet. Der gleiche Mensch, der zweimal nach Antwerpen
heimgekehrt war, kauft einen Sitz außerhalb der Stadt und lebt dort draußen. Nicht mehr
die Bürger und Kirchen der Heimat, sondern Karl von England und Philipp von Spanien
sind seine letzten großen Auftraggeber. Die Gefährten und Menschen seiner Jugend und
seines Manneslebens sterben um ihn herum^-). Wie hat man so oberflächlich sein können,
sich Rubens' Leben als einen immerwährenden Jubel vorzustellen! Weil in seinem Leben
kein Bankrott, kein Duell, kein Wahnsinnsanfall vorkommt, deshalb habe er die Tragik
nicht gekannt, deshalb sei er einer von denen, die immer auf der Sonnenseite des Lebens
schaukeln! Vielmehr in riesigen Kontrapunkten stehen die Rätsel des Lebens um ihn. Wer
im Abendland lebt, kann nie ganz glücklich sein, und die Größten wissen das am genausten.
Unerschüttert in allem ist nur die Arbeitskraft geblieben, die Quellkraft seines Geistes.
Welch neue Wendung, welch neues Gedankengewölbe wird sie erfinden, um dieser gewal-
tigen Kontrapunktik der Spätzeit zu begegnen!
Zunächst rief er die Stetigkeit des eignen Herzens an, um aus der wirren Gegenwart die
klare Vergangenheit zu formen. Im Jahre 1634, schon jenseits der Irrungen des vergange-
nen Jahres, erreichte ihn ein Brief seines alten Freundes Peiresc (der sich während der Poli-
tik ganz mäuschenstill verhalten hatte), und indem Rubens sich ins Gedächtnis rief, was
alles er erlebt hatte, während der Freund in sein Museum gebannt war, indem er sich auch
klarmachte, was davon er einem Franzosen sagen konnte und was er besser verschwieg,
schrieb er (18. Dezember 1634):
„Aus Ihrem Briefe habe ich ersehen, daß Sie mit größerem Eifer als je in die Geheimnisse
der römischen Antike einzudringen trachten. Ihre Entschuldigungen über Ihr Stillschwei-
gen sind überflüssig, da ich mir schon gedacht hatte, daß der unglückselige Aufenthalt eini-


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