gespannt worden ist, konnte er keinesfalls so schlaff herab-
hängen wie dieser hier.“
Mit diesen Worten kehrte er wieder in den Aktsaal zurück,
sah sich die Zeichnungen von zwei oder drei Akademikern an
und lobte die eines jungen Burschen von zehn bis zwölf
Jahren als auffallend reif. „Im Sommer sollte man nicht bei
Lampenlicht arbeiten lassen“, sagte er mir ins Ohr. „Es
macht den Kopf so heiß, und Tageslicht ist gesünder.“
Dann verabschiedete er sich von der versammelten Akade-
mie, die ihn hinab an den Wagen geleitete, und die Herren
du Metz und Perrault (der natürlich zu spät gekommen war)
schlossen sich nicht davon aus, ihn zu eskortieren.
Johann Joachim Winckelmann über Bernini
(„ Von der Grazie in Werken der Kunst“, 1756)
Endlich erschien Lorenzo Bernini in der Welt, ein Mann
von großem Talent und Geiste, aber dem die Grazie nicht
einmal im Traum erschienen ist. Er wollte alle Teile der
Kunst umfassen, war Maler, Baumeister und Bildhauer, und
suchte, als dieser, vornehmlich ein Original zu werden. Im
achtzehnten Jahre machte er den Apollo und die Daphne,
ein wunderbares Werk für ein solches Alter, und welches
versprach, daß durch ihn die Bildhauerei auf ihren höchsten
Gipfel kommen würde. Er machte hierauf seinen David,
welcher jenem Werke nicht beikommt. Der allgemeine Bei-
fall machte ihn stolz, und es scheinet, sein Vorsatz sei es ge-
wesen, da er die alten Werke weder erreichen noch ver-
dunkeln konnte, einen neuen Weg zu nehmen, den ihm der
verderbte Geschmack selbiger Zeit erleichterte, auf welchem
er die erste Stelle unter den Künstlern neuerer Zeit erhalten
könnte, und es ist ihm gelungen. Von der Zeit an entfernte
sich die Grazie gänzlich von ihm, weil sie sich mit seinem
Vorhaben nicht reimen konnte. Denn er ergriff das entgegen-
gesetzte Ende vom Altertum: seine Bilder suchte er in der
gemeinen Natur, und sein Ideal ist von Geschöpfen unter
einem ihm unbekannten Himmel genommen; denn in dem
schönsten Teil von Italien ist die Natur anders, als an seinen
Bildern, gestaltet. Er wurde als der Gott der Kunst verehrt
und nachgeahmt, und da nur die Heiligkeit, nicht aber die
Weisheit Statuen erhält, so ist eine berninische Figur besser
für die Kirche als der Laokoon.
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hängen wie dieser hier.“
Mit diesen Worten kehrte er wieder in den Aktsaal zurück,
sah sich die Zeichnungen von zwei oder drei Akademikern an
und lobte die eines jungen Burschen von zehn bis zwölf
Jahren als auffallend reif. „Im Sommer sollte man nicht bei
Lampenlicht arbeiten lassen“, sagte er mir ins Ohr. „Es
macht den Kopf so heiß, und Tageslicht ist gesünder.“
Dann verabschiedete er sich von der versammelten Akade-
mie, die ihn hinab an den Wagen geleitete, und die Herren
du Metz und Perrault (der natürlich zu spät gekommen war)
schlossen sich nicht davon aus, ihn zu eskortieren.
Johann Joachim Winckelmann über Bernini
(„ Von der Grazie in Werken der Kunst“, 1756)
Endlich erschien Lorenzo Bernini in der Welt, ein Mann
von großem Talent und Geiste, aber dem die Grazie nicht
einmal im Traum erschienen ist. Er wollte alle Teile der
Kunst umfassen, war Maler, Baumeister und Bildhauer, und
suchte, als dieser, vornehmlich ein Original zu werden. Im
achtzehnten Jahre machte er den Apollo und die Daphne,
ein wunderbares Werk für ein solches Alter, und welches
versprach, daß durch ihn die Bildhauerei auf ihren höchsten
Gipfel kommen würde. Er machte hierauf seinen David,
welcher jenem Werke nicht beikommt. Der allgemeine Bei-
fall machte ihn stolz, und es scheinet, sein Vorsatz sei es ge-
wesen, da er die alten Werke weder erreichen noch ver-
dunkeln konnte, einen neuen Weg zu nehmen, den ihm der
verderbte Geschmack selbiger Zeit erleichterte, auf welchem
er die erste Stelle unter den Künstlern neuerer Zeit erhalten
könnte, und es ist ihm gelungen. Von der Zeit an entfernte
sich die Grazie gänzlich von ihm, weil sie sich mit seinem
Vorhaben nicht reimen konnte. Denn er ergriff das entgegen-
gesetzte Ende vom Altertum: seine Bilder suchte er in der
gemeinen Natur, und sein Ideal ist von Geschöpfen unter
einem ihm unbekannten Himmel genommen; denn in dem
schönsten Teil von Italien ist die Natur anders, als an seinen
Bildern, gestaltet. Er wurde als der Gott der Kunst verehrt
und nachgeahmt, und da nur die Heiligkeit, nicht aber die
Weisheit Statuen erhält, so ist eine berninische Figur besser
für die Kirche als der Laokoon.
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