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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0053
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II. Wirkerei und Weberei im Altertum.

Die Anfänge der Weberei, nach Goethe der ,,ältesten und herrlichsten Kunst, die den
Menschen eigentlich erst vom Tier unterscheidet", liegen im Dunkel vorgeschichtlicher
Zeiten verborgen. Die Kunstgeschichte der Weberei reicht aber nicht bis in jene Urzeit
zurück, als aus der primitiven Vorstufe des Flechtens wirkliche Gewebe von gesponnenen
Fäden entstanden. Die Stoffreste aus vorgeschichtlichen Fundstellen des Nordens, die
wollenen und leinenen Mumienbinden altägyptischer Herkunft liegen noch außerhalb ihrer
Grenzen; erst mit der Herstellung gemusterter Stoffe aus verschieden gefärbten Fäden steigt
die Weberei in die Reihe der gewerblichen Künste empor.

Aus den orientalischen Kulturländern Vorderasiens und aus Griechenland sind die
ältesten unzweideutigen Zeugnisse einer hochstehenden Textilkunst überliefert. Zwar sind
ihre Werke selbst im Orient vollkommen verschwunden und auch die Gewebe des griechischen
Altertums sind bis auf wenig spärliche Reste zu Grunde gegangen. Doch genügen die Dar?
Stellungen gemusterter Stoffe auf assyrischen, persischen und griechischen Bildwerken im
Verein mit den zahlreichen, obschon selten ausführlichen Berichten antiker Schriftsteller,
um eine ungefähre Vorstellung vom Stande der Textilkunst zu vermitteln. Es ist nicht nötig,
hier die Entwicklung der antiken Textilmuster schrittweis zu verfolgen; es handelt sich nur
darum festzustellen, bis zu welcher Stufe die Musterbildung der Weberei im engeren Sinne,
das heißt der mechanischenWeberei, in dem Zeitalter gelangt war, als die Seide ihre chinesische
Urheimat noch nicht verlassen hatte und ferner, mit welchen Mitteln die seidenlose Zeit
Bildwebereien höherer Ordnung herzustellen vermochte.

A. Der Orient.

Die Hauptquelle für die Kunde der im ganzen Altertum berühmten Textilkunst Me*
sopotamiens sind die steinernen Relietbilder, die einst die Wände in den Palästen assyrischer
Könige des 8. und 7. Jahrhunderts vor Chr. in Ninive bedeckten und jetzt im Britischen
Museum und im Louvre aufgestellt sind. Die Absicht der assyrischen Bildhauerei ist auf
die getreueste Erzählung der dargestellten Vorgänge, Feldzüge, Huldigungen, Jagden ges
richtet. Dieselbe peinliche Sorgfalt, mit der sie die gekrausten Locken und die scharfen
Züge der Muskulatur, alle Einzelheiten der Möbel, Waffen und Geräte, den reichen Behang
der Pferdegeschirre oder die Verschnürung der Schuhe herausarbeitet, hat sie auch auf die
Wiedergabe der Gewänder verwendet. Diese Steinbilder, in denen die altorientalische Kunst
Vorderasiens ihren vollkommensten Ausdruck gefunden hat, sind daher als zuverlässige
Zeugen auch für die Textilkunde anzusehen. Wie steht es nun mit der Weberei?

Durchweg sind die Gewänder an den Rändern mit reichem Besatz von zum Teil
künstlich verknüpften Fransen und nicht selten auch mit gemusterten Randborten versehen.
Die letzteren zeigen in der Regel eine Reihe von Rosetten: nur vereinzelt wie bei dem Ornat
des thronenden Königs Sanherib') sind die verbreiterten Randborten mit vielfach wechselnden
figürlichen Motiven verziert. Opfernde Männer paarweis geordnet, geflügelte Pferde und

') Layard, Monuments of Nineveh T. 5, vergrößerte Einzelheiten T. 43, 44.

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