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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0064
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claven, über den Knien oder in der Winkelöffnung der Gammadien. Gelegentlich erscheint
zwischen den zwei Schulterstreilen auf der Mitte der Brust noch ein dritter, der wie die an?
deren unten zu einem schmalen Band sich verjüngt, um dann in ein Rundstück zu endigen
(vgl. Abb. 219).

Alle diese Zieraten — von den Seidenbesätzen abgesehen — sind wie gesagt aus ge?
färbter Wolle gewirkt. Es kommt vor, daß der Leinenweber an den Stellen, die für einen
farbigen Streifen oder ein viereckiges Zierstück vorgesehen waren, von vornherein beim
Weben die Schußfäden aussparte, so daß hier die Kettfäden als offenes Gitter für die Wir?
kerei freiblieben, genau so, wie es schon bei den altgriechischen Stoffresten aus den Gräbern
der Krim bemerkt wurde. Zierstücke von ausgezackten Umrissen, Rundfelder oder größere
Quadrate aber wurden öfter, um die Arbeit zu erleichtern, selbständig auf dem Wirkrahmen
hergestellt und dann in das Leinengewand eingefügt oder einfach aufgenäht; letzteres nament?
lieh dann, wenn man von einem verbrauchten Kleid die noch tauglichen Wirkstücke auf
ein neues Gewand übertrug.

Diese ganze Art, die Tuniken mit Schulterstreifen, Gammadien, Brust? und Eckstücken
auszustatten, ist offenbar aus der römischen Tracht herzuleiten. Die griechische Gewandung
klassischer Zeit kannte solche Besätze nicht; im Rom dagegen wird aus der frühen Kaiser?
zeit von streifenförmigen Abzeichen berichtet, clavi und lati clavi genannt, die als Auszeich?
nung getragen wurden, auch von Einsatzstücken, den Segmenta. Ein frühes datiertes Bei?
spiel für die Tunika mit voller Clavatura aus Achselstücken, Ärmelbesätzen und zwei Claven
gibt der Silberschild des Kaisers Theodosius vom Jahre 383 in Madrid.1) Die Massenhaftig?
keit der ägyptischen Funde und die häufige Darstellung ähnlich gezierter Gewänder in den
römischen Katakombenmalereien zeigen, daß im 5. und 6. Jahrhundert die ursprüngliche
Bedeutung vergessen und die Clavatura zu einem bloßen Zierat der allgemeinen Tracht
herabgesunken war. In dieser Zeit ist die in Ostrom und Westrom gleichmäßig eingebür?
gerte Kleidung mit Ciavenschmuck auch von den Persern nachgeahmt worden; die beiden
sassanidischen Reiterstoffe (s. T. 26—28, Abb. 105, 106) zeigen die von der Schulter herab?
gehenden Claven mit den Endrosetten in der üblichen Form der ägyptischen Funde.

Für die ägyptischen Grabtextilien ist von F. Bock, der große Mengen davon in den
Handel gebracht hatte, der Name Koptenstofie aufgebracht worden, obwohl keine haltbaren
Gründe für die Annahme vorlagen, daß es sich ausschließlich oder vornehmlich um Erzeug?
nisse der Kopten handelte. Kopten heißen die Christen des Nillandes, die der monophy?
sitischen Lehre anhängen und man nimmt an, daß in ihnen die nationalägyptische Bevölke?
rung — im Gegensatz zu dem seit der Ptolemäerzeit in Ägypten weit verbreiteten Griechen?
tum — fortlebte. Durch die Bezeichnung koptisch wurden die Textilien zu einem Zweig
einer besonderen frühchristlich?ägyptischen Kunst gestempelt. Dagegen hat zuerst Essen?
wein2) lebhaften und wohlbegründeten Einspruch erhoben. Der Name ist dennoch, weil
er ein handliches Schlagwort bot, nicht nur im Kunsthandel, sondern auch in einem großen
Teil der Fachliteratur hängen geblieben. Es ist möglich, daß viele unserer Textilien aus
christlichen Gräbern stammen, namentlich von den Funden aus Achmim, wo die Kopten
wie heute noch einen erheblichen Teil der Bevölkerung ausmachten. Damit ist aber noch
nicht gesagt, daß die koptischen Christen auch als die alleinigen oder vornehmlichen Er?
zeuger der Stoffe anzusehen wären; es ist nicht überliefert, daß sie in höherem Maße als die
Griechen die Träger des Textilgewerbes gewesen sind. Auch fehlt noch jede Aufklärung
darüber, ob die Wirkereien durch Hausfleiß am Verbrauchsort, wie die Stickereien slawischer
Volkskunst, oder in gewerblichen Betrieben der Städte für den Handel geschaffen worden

]) Die deutlichste Abbildung des Schildes in den Materialien zur russischen Archaeologie Nr. 8 T. 5.
-) Mitteilungen des Germanischen Museums II S. 89.

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