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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0079
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stand sittlicher Entrüstung oft erwähnt. Sie müssen den ,,wilden Seiden" zugerechnet wer?
den, Stoffen, die aus den Hüllen verschiedener spinnenden Raupenarten gewebt wurden,
auch in China neben der echten und kultivierten Seide. Echte Seide aber waren die koischen
Gewänder nicht, denn als man in Rom die chinesische Seide kennen lernte, wird sie von
den Schriftstellern der Kaiserzeit von den koischen Bombycinagewändern unterschieden.1)
In den lateinischen und griechischen Quellen werden die Chinesen und auch die am Seiden?
handel beteiligten innerasiatischen Völker Serer genannt, ein Wort, das von der koreanischen
Bezeichnung Sir für Seide abgeleitet wird. Die Seidengewebe heißen serica und weiterhin
werden holoserica, tramoserica und subserica, Ganzseiden und Halbseiden unterschieden.
Es scheint, daß in der Kaiserzeit subsericae vestes auch wollene oder leinene Gewänder ge?
nannt wurden, die mit seidenen Borten und Claven besetzt waren.

Über die Beschaffenheit der chinesischen Seidenstoffe im Altertum ist nichts Belang?
reiches überliefert. Erst im letzten vorchristlichen Jahrhundert, als die Kaiser der Han?
dynastie China zu einem einheitlichen und mächtigen Staatswesen ausgebaut und im Inneren
die gewerbliche Tätigkeit gehoben hatten, wurden aussichtsreiche Handelsbeziehungen mit
Vorderasien angebahnt. Damals können die ersten Seidenstoffe zu den Parthern und darüber
hinaus in das syrische Reich der Seleukiden gekommen sein. Im Jahre 56 vor Chr. sahen
die Soldaten des Crassus seidene Standarten „signa auro sericisque vexillis vibrantia" über
den Parthertruppen flattern.2) Als die römische Reichsgrenze nach dem Untergang der
Seleukiden bis zum Euphrat vorgeschoben wurde, mögen mit der reichen Beute aus Anti?
ochia, den syrischen und mesopotamischen Handelsstädten Seidenstoffe in großer Menge
nach Rom gelangt sein. Denn es scheint, daß Rom zu Anfang des 1. Jahrhunderts nach Chr.
mit Seide reich versehen war. Wenn Dio Cassius im 3. Jahrhundert erzählt, daß Julius Caesar
bei seinen Spielen im Zirkus seidene Velarien spannen ließ, so kann das freilich eine späte
Ausschmückung sein, um die verschwenderische Pracht jener Feste eindrucksvoll zu schil?
dern. Aber schon bei den Schriftstellern der augusteischen Zeit mehren sich die Erwäh?
nungen der Seide, der ,,vela colorata qualia Seres habent" (Ovid), und Tacitus hat in den
Annalen (II 33) einen Senatserlaß vom Jahr 16 nach Chr. überliefert, der den Männern in
Rom seidene Gewänder untersagt, ne serica vestis viros foedaret. Bald danach muß der Zu?
gang wieder spärlich geworden sein; denn Plinius (*J* 79 nach Chr.) und Lukian berichten in
allerdings nicht ganz deutlicher Form,3) daß die Frauen in Rom und Alexandria die seri?
sehen Fäden oder Gewebe mühsam auflösten, um sie zu leichten Stoffen wieder zu ver?
wenden. Mit dem Makel der Unmännlichkeit blieb der Gebrauch der Seide in Rom noch
lange behaftet; nicht zum Lob wurde dem Kaiser Caligula nachgesagt, daß er eine seidene
Chlamys zu tragen pflegte und noch im 3. Jahrhundert wurde es als weibisch und schimpf?
lieh empfunden, daß Heliogabal, der aus Syrien nach Rom gekommen war, hier als erster
Mann ganzseidene Gewänder trug.4) Kaiser Aurelian (270—275) verweigerte der Kaiserin
auch nur einen seidenen Purpurmantel, aber nicht mehr aus Gründen der Moral, sondern
als sparsamer Mann des Preises wegen, weil die Seide damals mit Gold aufgewogen wurde. 5)

Als im 4. Jahrhundert die Hauptstadt des Reiches nach Konstantinopel verlegt wird,

x) Pariset, Histoire de la soie I S. 63, 66, 131.

2) Pariset I S. 92. Der Bericht des Florus, Epitome rerum roman. ist allerdings erst zur Zeit Hadrians
geschrieben.

:!) Pariset I S. 126.

') Lampridius: Primus Romanorum holoserica veste usus fertur, cum jam subsericae in usu essent-
Von Alexander Severus berichtet Lampridius: Vestes sericas ipse raras habuit, holosericas nunquam induit, sub-
sericam nunquam donavit.

') Flavius Vopiscus: Vestem holosericam neque ipse in vestiario suo habuit, neque alteri utendam dedit.
Et cum ab eo uxor sua peteret, ut unico pallio blatteo serico uteretur, ille respondit: Absit ut auro fila pensen*
tur; libra enim auri tunc libra serica fuit.

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