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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0108
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stürz keine Unterbrechung in der Weberei der Koptenstadt herbeigeführt hat. Das ist aus
der Politik der islamischen Eroberer zu erklären. Wenn sie auch das koptische Christentum
nicht begünstigten, so richtete sich ihre schärfste Gegnerschaft doch nicht gegen die altein?
heimische, diesem Glauben anhängende Bevölkerung, sondern wider die bisherigen Herren
des Landes, die griechische Oberschicht der Besitzenden und Gebildeten. Aus diesem Vor?
gehen heraus ist es zu verstehen, daß die hochentwickelte und bereits ausfuhrfähig gewor?
dene Kunstweberei der Griechenstadt Antinoe verschwindet, während das tiefer stehende,
fast nur dem örtlichen Bedarf dienende Koptengewerbe in Achmim die politische Umwäl?
zung überdauert. Freilich nicht ohne jede Schädigung; denn mit der Austreibung der Griechen
nach der Mitte des 7. Jahrh. gingen auch die technisch und künstlerisch überlegenen Lehr?
meister und Vorbilder verloren. Die alten Muster wurden in die arabische Zeit hinüber?
genommen: Das South Kensington Museum besitzt einen Seidenclavus (Abb. 67), dessen
stilisierte Bäume und Figuren — letztere sind die Nachkommen der Lanzenträger auf dem
Zachariasbesatz Abb. 62 — unverkennbar noch vom Formenschatz des Zacharias abstammen.
Unter den Figuren jedoch ist bereits eine arabische Inschrift eingewebt. Dann tritt in der
Musterzeichnung und Webetechnik ein entschiedener Niedergang ein. Die glatte Wieder?
gäbe gerundeter oder schräg über die Fläche laufender Linien gelingt nicht mehr; sie müssen
in eine Folge von rechten Winkeln aufgelöst werden. Diese unbeholfene Technik zeigt
schon das Besatzstück mit den Tänzerinnen (vgl. Abb. 64), mehr noch der Vogelstoff Tafel 4a
mit symmetrisch verdoppelten Tieren in dicht aneinander gereihten Kreisen, für Achmim
das erste Beispiel des mittelalterlichen Seidenstils. Er muß noch ins 7. Jahrh. gesetzt
werden, weil dieselben steif gezeichneten Vogelpaare sich auf einem Tunikabesatz aus Ach?
mim finden, der auf der übrigen Fläche ebenso wie der zugehörige Clavus1) die Pflanzen?
Ornamente des Zacharias zwar hart und eckig, sonst aber ziemlich getreu wiederholt.

Dieser Vogelstoff mit Kreisteilung deutet die Stilrichtung an, in der die Musterzeich?
nerei Ägyptens während der ersten Jahrhunderte arabischer Herrschaft, als eine ausge?
sprochen muslimische Kunst erst im Entstehen war, sich fortbewegt hat. Der zweite Stoff
auf Tafel 4b, mit adossierten Vogelpaaren in rechtwinklig abgestuften Feldern auf einem
Grund aus eng gereihten kleinen Kreuzen, ist ebenfalls in Ägypten ausgegraben. Er trägt
arabische Schriftzeichen, sonst aber noch keine Merkmale islamischen Stils. Das Kreuz?
muster des Grundes ist schon in älteren Mosaiken von Ravenna, auf dem Gewand des hei?
ligen Vitalis2) vorhanden. Die koptische Klosterkunst Ägyptens hat es noch lang beibe?
halten.3) Da der Stoff T. 4b in Farbe und Textur sich von dem vorhergenannten gar nicht
unterscheidet, ist er den Arbeiten von Achmim und etwa dem 8. oder 9. Jahrh. zuzuweisen.

In die Zeit des Übergangs vom griechisch?christlichen ins islamische Ägypten fällt
noch eine Stoffgattung, von der fünf Spielarten auf Tafel 5 abgebildet sind. Die Muster
stehen immer schwarz auf purpurrotem Grund. Es sind Rautenfelder aus Flechtbändern
von ziemlich entarteter Zeichnung, die bäum? und fruchtartige Pflanzenmotive einschließen.
Die Dürftigkeit der Muster verrät Koptenarbeit, weist also auf Achmim, wo solche Stoffe
auch gefunden worden sind. Eine selbständige Schöpfung der Koptenstadt sind sie aber

*) Forrer, Seidentextilien T. IV fig. 8 u. 1.
2) Errard, L'art byzantin III T. 7.

:!) Es findet sich unverändert auf den untersten Intarsiafüllungen der Türen in der Hadrakirche des
Surianiklosters (Deir es Suriani) in Unterägypten, die im Bulletin of the Metropolitan Museum New York
1911, Vol. VI nr 2 fig. 7 u. 9 abgebildet sind. Die Türen sind in den Jahren 914 und 927 hergestellt. Die*
selbe Koptenkirche El Hadra birgt als Wandschmuck Stuckreliefs ebenfalls aus dem Anfang des 10. Jahr*
hunderts, in deren Pflanzenornament noch manche Erinnerungen an die Bäumchen auf dem Clavus und Or*
biculus des Zacharias nachleben. Siehe Bulletin a. a. O. fig. 3, ferner Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen 1904,
fig. 109, S. 342. Man darf diesen Analogien eine Bestätigung des spezifisch koptischen Charakters der Seiden*
Stoffe von Achmim entnehmen.

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