Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0152
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
bald mit einem Löwenkopf,1) bald mit kurz gekrümmtem Schnabel,-) aber immer gehörnt
und es zählt zu den mythischen Ungeheuern, mit denen die Könige Darius und Xerxes auf
den Palastskulpturen von Persepolis im Kampf dargestellt werden.') Der gehörnte Greif
unseres Gewebes hat vier Löwenfüße, während die achämenidischen Greifen hinten als
Adler gebildet sind. Sonst ist der altpersische Typus nicht verändert. In Persepolis steht
der König zu Fuß dem Greifen gegenüber; trotzdem bleibt auch in der Bewegung des ge?
webten Reiters noch die Erinnerung an das alte Vorbild lebendig; hier wie dort packt der
König das Haupt des Ungeheuers, das aufgerichtet seine Pranke in den Arm seines Über*
winders schlägt. Von den altbabylonischen Tierkämpfen des Gilgamisch an hatte dieser
Vorgang im Orient religiöse Bedeutung; für die Perser ist es zur Achämenidenzeit wie unter
den Sassaniden das Symbol der Überwindung Ahrimans durch Auramazda. Demgemäß
wird die aus dem Bäumchen heraus dem König sich zuneigende Halbfigur als hilfreicher
Genius gedeutet. Die kauernden Löwen unter den Greifen und die fliehenden Steinböcke,
die zwischen die streifenförmig aneinandergereihten Hauptbilder sich einschieben, ent*

sprechen der den sassanidischen Jagddarstellungen eigenen Neigung, den
Hintergrund durch vielerlei Wild zu beleben.

Die Form der Krone bezeichnet den Reiter unverkennbar als Sassaniden.
Von den Herrschern dieses Hauses waren viele bemüht, ihren Kronen durch
besondere Zutaten eine eigentümliche Gestalt zu geben. Chosroes II hat
zuerst oben auf der Mitte der von einem Mauerkranz umzogenen Tiara an
Stelle des bis dahin häufigen kugelförmigen Aufsatzstückes einen Halb?
mond auf hohem Stiel zwischen zwei Flügeln angebracht und diesen
Zierat hat sein Enkel Jesdegerd III unverändert beibehalten4) (Abb. 106).
Wenn auch der Weber den kleinen Halbmond nicht deutlich herausgebracht hat, so sind
doch sonst auf dem Stoff alle wesentlichen Merkmale der Chosroeskrone vorhanden.
Der Weber hat auch das auf den Münzen Jesdegerds sichtbare Ohrgehänge in langer
Tropfenform nicht vergessen. Das vierjährige Interregnum zwischen dem Tod Khosraus
und der Thronbesteigung seines Enkels war von Palastrevolutionen, Weiberregiment und
Anarchie erfüllt. Auf dem Stoff kann demnach nur Chosroes oder Jesdegerd dargestellt
sein. Die Entscheidung fällt nicht schwer, da die Münzen den ersteren immer im Vollbart
zeigen, den Enkel hingegen, der mit einundzwanzig Jahren die Zügel der Herrschaft er?
griff, bartlos gleich dem Seidenbild. Jesdegerd wurde nach achtjährigen heißen Kämpfen
in der Schlacht von Nehawend 640 endgültig besiegt und aus seinem Reich vertrieben;
späterhin ist unter der Araberherrschaft sicherlich wenig Anlaß gewesen, den letzten
Sassaniden und seinen Mazdakult auf Seidenstoffen zu verherrlichen. Die Ausführung
einer so ausgesprochen zoroastrischen Darstellung in die Kalifenzeit zu setzen, wäre nur
dann zulässig, wenn der Stil des Gewebes unzweideutige Anzeichen nachsassanidischer
Entstehung aufwiese. Das ist aber durchaus nicht der Fall; nichts ist vorhanden, was den
Rahmen der Sassanidenkunst überschreitet. Man kann die blattförmigen Kronen der als
Mittelachsen dienenden Bäumchen zur Datierung heranziehen: sie sind sichtlich verwandt
mit den Blättern des alexandrinischen DioskurenstofTes (vgl.T. 12 u. Abb. 77), dessen vor?

x) Auf den glasierten Ziegelreliefs von Susa, abgeb. Dalton, The treasure of the Oxus Hg. 4; auf einem
Relief des Dariuspalastes in Persepolis, Dieulafoy, L'art antique de la Perse III T. 17.

2) Auf einem Steinrelief in Paris, Dalton a. a. O. fig. 7; an den goldenen Armbändern und dem Silber*
rhyton des Oxusschatzes, Dalton a. a. O. T. 16 u. 22.

:!) Perrot u. Chipiez, Histoire de l'art V fig. 351, 352; Dieulafoy a.a. O. III T. 17; Sarre.Herzfeld, Iran.
Felsreliefs S. 137-138.

4) Man vergleiche die Münzen Chosroes II und Jesdegerds bei Herzberg, Geschichte der Byzantiner
in Onckens Allg. Gesch. II, Band 7 S. 39 u. 51.

Abb. 106. Münze
König J esdegerds III.

84
 
Annotationen