Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0159
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
allem die Flügelkrone Chosroes II, bei den unteren Reitern auch die faltige Perserhose, die
aufrechte Stellung der Löwen, die Halsbänder und Flügel der Pferde und die axtförmigen
Ansätze an deren Füßen. Das ist nicht eine „altchinesische Pferdeausrüstung"1), sondern
die mißverstandene Wiedergabe der sassanidischen Flatterbänder, wie sie auf den Pegasus?
Stoffen in Paris, Lyon und Berlin (vgl. Abb. 48, 49) zu sehen sind. Daß die Ranken in den
Zwickeln gleich dem Kunibertstoff (vgl. T. 17) die persische Linienführung festhalten, wurde
bereits hervorgehoben (s. S. 72). Auch die scheibenbelegten Kreisbänder sind als typisch*
persisches Ornament schon besprochen. Abweichend von den durch Mondsicheln verbun?
denen Scheibenkreisen der im vorigen Abschnitt vorgeführten Sassanidenstoffe (vgl. T. 20
u. 22 a, Abb. 96 u. 99) sind hier die Scheitelpunkte durch vier Quadrate betont. Das ist
keine chinesische Variante, sondern ebenfalls der persischen Vorlage entlehnt; auf einer
sassanidischen Silberschale in Petersburg2) sind auf dem mit Löwen gemusterten Gewand
des Königs zwischen den Scheiben auch die Quadrate eingraviert; außerdem besitzt die
Berliner Stoffsammlung ein sassanidisches Seidenfragment mit Eberköpfen in derselben
Kreiseinfassung.

Daß der Fahnenstoff aus Nara in China gewebt worden, bezeugen die Schriftzeichen
„Berg" und „Glück" auf den Pferdehüften; das damals erst beginnende Seidengewerbe
Japans scheint sich für schwierigere Muster noch mit der Färberei beholfen zu haben, die
mit Wachsabdeckung, Schablonen oder Modeldruck betrieben wurde.

Das Banner von Nara ist nicht der einzige Vertreter seiner Stilrichtung in Ostasien.
Mit den Funden Pelliots aus der westchinesischen Provinz Kansu ist ein verblichenes, aber
in Textur und Stil identisches Gewebefragment in den Louvre gekommen, auf dem unter
einem Baum adossierte Flügelgreifen in scheibenbelegtem Kreis erkennbar sind. Ferner
bewahrt das berühmte Schatzhaus Shosoin in Nara, ein Vermächtnis des Mikado Shomu3)
unter zahlreichen Geweben und anderen Kunstwerken des 7. und 8. Jahrhunderts ebenfalls
einen großen Reiterstoff, der wiederum Paare von Bogenschützen, Löwen und fliehende
Hirsche eingewebt trägt. Die scheibenbelegten Kreisbänder umzieht außen noch eine anti*
kisierende Wellenranke4). Dieses Gegenstück des Fahnenstoffes ist auf die Jahre um 600
zu datieren. Denn eine gefärbte, also wohl in Japan selbst gefertigte Nachbildung des
Shosoingewebes besitzt der Horiushitempel aus dem Nachlaß Shotokus, der, ein Zeitgenosse
Chosroes II und Hauptförderer des Buddhismus, von 572—621 die Regentschaft in Japan
führte5). Die Färbetechnik hat die reinen Umrisse des gewebten Originals verzerrt und arg
vergröbert (Abb. 111), den Inhalt der Darstellung aber nicht verändert6).

Obwohl der Katalog des Shosoin und das Musterbuch Kodamas nur einen Teil der
um die Mitte des 8. Jahrh. in die Tempel von Nara geborgenen alten Textilien veröffent*
lichten, enthalten sie doch noch viele Beweisstücke für die Entlehnung und mehr oder minder
freie Umarbeitung persischer Motive. Aus dem Nachlaß Shomus im Shosoin stammt ein Ge*
webe mit gegenständigen Hähnen in Kreisen (Abb. 112) und aus einer Folge auf Stoff gemalter
Stellschirmfüllungen vom Jahr 731 das Bild eines Steinbocks (Abb. 113), der in der frontalen

') Dreger, Entwicklung S. 35.

2) Die Schale ist erst nach dem Erscheinen von Smirnows Sammelwerk gefunden und in den „Meister*
werken muhammedanischer Kunst 1912" II T. 125 abgebildet.

:i) Vgl. darüber O. Kümmel in der Illustr. Gesch. des Kunstgewerbes II S. 759.

l) Eine Lichtdruckaufnahme nach dem Original enthält der bis jetzt dreibändige Katalog des Kaiser*
liehen Schatzhauses Shosoin, betitelt Toyei Shuko, Tokio 1910, Band II T. 94. Die Abbildung ist etwas
trüb, läßt aber doch deutlich eine dem Narabanner gleichartige Köperbindung erkennen.

') Die Zeitangaben des Kodama, die sich auf die Gegenstände in Nara beziehen, können als zuver*
lässig gelten, da sie ja mit dem sassanidischen Stil der Gewebe vollkommen übereinstimmen.

') Abgeb. in Kodamas Musterspiegel I, die drei letzten Seiten; ferner Münsterberg, Japanische Kunst*
geschichte I T. 14 fig. 4.

Falke, Seidenweberei.

89

12
 
Annotationen