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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0178
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höchsten stehende Stoff in Nancy mit seinen sassanidischen Bäumchen, können noch in
das 7. Jahrhundert zurückreichen. Im 8. Jahrh. macht sich ihr Einfluß bereits in Ostasien
geltend: Der japanische Musterspiegel von Kodama bringt (im 2. Band) als Überrest einer
Tempellahne des Mikado Shomu (724—748) im Horiushi die unverkennbar ostasiatische
Nachbildung eines der ostiranischen Löwenstoffe; ein verwandtes, jedoch mehr in die chi?
nesische Formensprache übersetztes Fragment mit buddhistischen Löwenpaaren in Kreisen
ist in der Zeitschrift Kokkwa (N. 57 T. 1) ebenfalls aus dem Horiushitempel abgebildet.
Schließlich ist ein Stoff aus dem Hausrat der Kaiserin Koken (749—758) im Horiushi anzu*
führen (Abb. 149), dessen Vogelpaare an die Pfauen in Sens (vgl. Abb. 143) erinnern. Im
8. Jahrh. hatten demnach die ostiranischen Seidenstoffe schon weite Verbreitung gefunden,
was einen starken Betrieb voraussetzt, der vielleicht auch das 9. Jahrh. noch umfaßte.

Neben den Bildmustern sind wohl immer und in allen Sitzen der Seidenweberei auch
anspruchslosere Stoffe rein ornamentaler Zeichnung gewebt worden. Ein zweifarbiger Stoff
(gelb auf dunkelblau) aus dem Lütticher Madelbertaschrein (Abb. 150) steht durch die ins
Kreuz gestellten Glockenpalmetten (gleich dem Löwenstoff des Vatikans s. Abb. 139) noch
mit der eben besprochenen Gruppe in Verbindung, während seine geometrische Kreisfüllung
und die aufgelöste Wiedergabe des Flechtbandes auf eine der ostiranischen Gattung nach*
folgende Entwicklungsstufe hinweist1). Deren Hauptstücke sind das Gewebe des Essener
Münsterschatzes mit gegenständigen Pferden in großen Kreisen (Tafel 33) und ein ebenfalls
unvollständiges Stück derselben Werkstatt mit Elephanten ähnlichen Maßstabes im Museum
zu Lüttich (Abb. 151). Das Muster ist beidemal gelb mit ganz sparsam verteilten grünen
Stellen auf dunkelblauem und violettem Grund. Die rechtwinklige Auflösung aller Linien
und Formen, der „Kubismus", ist hier mit so strenger Folgerichtigkeit durchgeführt, daß
man weniger an technisches Unvermögen, als an eine dem Zeitgeschmack entsprechende
künstlerische Absicht denken möchte. Während die Pferde des Essener Stoffes noch mit
demselben Motiv in Sens (vgl. Abb. 142) verwandt erscheinen, hat die Zwickelfüllung jede
Erinnerung an die in der ostiranischen Gruppe noch so deutlich nachwirkenden Pflanzen?
formen der Sassanidenkunst bereits abgestreift. Man spürt die ersten Regungen einer
neuen Richtung: die Scheiben in den Kreisbändern werden rankenmäßig miteinander ver*
bunden und am Lütticher Elephantenstoff kommt als Grundfüllung ein dem Pluviale von
Pebrac (s. Abb. 135) sehr ähnliches Rankenwerk zum Vorschein.

Wir sind mit dieser,, Gattung, für deren Datierung ich allerdings keine zeitlich ge*
sicherten Beweisstücke beibringen kann, bis in das 10. Jahrh. etwa vorangeschritten und da?
mit am Ende der selbständigen Entwicklung des persischen Seidenstils angelangt. Überblickt
man die Seidenerzeugnisse aus den der Eroberung folgenden drei Jahrhunderten einschließe
lieh der byzantinischen Nachahmungen persischer Muster, so stellt sich klar heraus, daß
die ostmuslimische Textilkunst bis zur Wende des 1. Jahrtausends christlicher Zeitrechnung
rein persisch geblieben ist, daß sie in dem überkommenen altiranischen Formenschatz ihr
Genügen fand und noch keine neuen arabischen Elemente aufgenommen hat. Von den bis*
her vorgeführten ostmuslimischen Stoffen ist manches für byzantinisch gehalten worden,
was verständlich ist, oder gar für chinesisch; aber westarabische Herkunft, aus Ägypten,
Spanien oder Sizilien konnte bei keinem Stück ernsthaft in Frage kommen.

Die Islamisierung der iranischen Motive.

Ein sehr verändertes Bild ergeben die nächstfolgenden Seidenstoffe aus dem 11. und
12. Jahrhundert. Die Scheidewand zwischen Osten und Westen bricht zusammen. Die
muhammedanische Kunst ist westwärts vom Zweistromland in Syrien, Ägypten und An?
dalusien emporgediehen und hinreichend erstarkt, um auf Persien, dem sie vieles entlehnte,

J) Dazu gehört ein Stoff in Sens, abgeb. Revue de l'art ehret. B. 61, S. 386 nr. 40.

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