Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 1) — Berlin, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19016#0180
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wieder zurückzuwirken mit dem Erfolg, daß der Gegensatz der iranischen Kunst zur islami?
sehen verschwindet. Die erstere wahrt wohl in vielen Dingen ihre Sonderstellung, aber sie
ist dennoch ein Zweig der muhammedanischen Gesamtkunst geworden. Die arabische
Strömung befreit die Seidenweberei des Ostens von der Starrheit und Gebundenheit der
sassanidischen Tradition und sie hebt zugleich ihr künstlerisches Vermögen auf eine höhere
Stufe. Im Besonderen bringt sie die arabische Schrift und das schmiegsame, jedem Raum
sich anpassende Rankenwerk der Arabeske als ornamentale Bereicherung.

Leider sind aus dieser wichtigen Zeit der Neubildung und Arabisierung die Über?
reste persischer Seidenstoffe überaus selten und noch dazu fragmentarisch erhalten. Es
scheint, daß das von Bagdad bis Spanien in zahlreichen für den Mittelmeerhandel günstiger
gelegenen Städten betriebene Seidengewerbe der westmuslimischen Ländergruppe die per*
sischen Erzeugnisse vom europäischen Markt verdrängte, sodaß die bisher so ergiebige Quelle
der abendländischen Kirchenschätze mehr und mehr versiegt.

Das älteste Beispiel der arabisierten Stilrichtung ist der grünweiße Greifenstoff in Berlin
(Tafel 34 = Abb. 152). Die vorher und nachher in der orientalischen Textilkunst nicht
nachweisbare sitzende Darstellung des Greifen findet in einem westislamischen Kunstwerk
ägyptischer Arbeit, der bezeichneten Bergkristallkanne des Fatimiden El Aziz (975—996)
im Schatz von S. Marco ihr nächstes Gegenstück1). Aus dieser Übereinstimmung ist um
so eher auf ungefähre Gleichzeitigkeit zu schließen, als auch die Arabeskenformen der üb?
rigen fatimidischen Kristallgefäße2) mit dem Greifenstoff zusammengehen. In der Beschrei?
bung unserer Tafel 34 wird die etwas knollig verschnörkelte Form der grundfüllenden Ära?
beske hinter den Greifen auf chinesischen Einfluß zurückgeführt. Das läßt sich nicht auf?
recht erhalten. Die chinesische Kunst kennt solche Rankenformen gar nicht, während sie
in Persien, wo die Arabeske zunächst noch etwas Fremdartiges und Traditionsloses war,
auf Silberarbeiten3) und späterhin auf lüstrierten Fayencen gar nicht selten sind. Die Füllung
der Kreisbänder mit symmetrischen Tierpaaren ist im 11. Jahrh. auch in der arabischen
Weberei Andalusiens (vgl. T. 41, Abb. 185) üblich.

Die arabeskenhafte Auflösung und Verzweigung der Mittelachse zeigt ein zur selben
Gattung gehöriger rotgrüner Löwenstoff in Maastricht (Abb. 153), der mit einer kufischen
Inschrift auf den Löwenschultern versehen ist4). Ein drittes Fragment aus dieser Gruppe, mit
steigenden Greifen, gelb auf grün, ist im Kaukasus gefunden worden (Abb. 154)5). Hier
kommt die arabische Schrift als Ornament bereits ausgiebig zur Geltung: die Kreise waren
von zwei breiten Inschriften, einer nach innen und einer nach außen gerichteten, umrahmt,
deren schöner von Arabesken durchzogener kufischer Duktus den seldschukischen Bau?
inschriften auf der Moschee von Amida aus dem Ende des 11. Jahrh. nicht unähnlich ist6).
Die vortreffliche Zeichnung des Greifen veranschaulicht den künstlerischen Aufschwung
und die Verfeinerung, die der westliche Einfluß mit sich brachte; ein Vergleich von Einzel?
heiten wie den Löwenfüßen mit den besten Sassanidenstoffen und ihren Nachfolgern läßt
den Fortschritt ermessen.

Einen großen Schritt weiter in der Richtung eines gemeinislamischen Stils führt der
schwarzweiße Adlerstoff aus Täbris (Tafel 35 b), den das Kreisband aus zwei wieder nach

') Abgeb. Pasini, Tresor de S. Marc T. 52 fig. 118; Migeon, Manuel fig. 320.
2) Aufgezählt bei Migeon, Manuel S. 373 und folgende.
;i) Smirnow T. 75 u. 76.

') In ägyptischen Seidenstoffen war das Auftreten der arabischen Schrift schon im 8. Jahrh. nachzu*
weisen, s. Abb. 67 u. T. 4b.

') Im Besitz der Gräfin Uwaroff in Moskau; farbig abgebildet in den „Materialien zur Archäologie
des Kaukasus" X 1904 T. 144 und in „Meisterwerke muhammed. Kunst 1912", III T. 179.

(i) Vgl. M. van Berchem, Amida T. 8 u. 10.
 
Annotationen