Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
172

Die Königin.

„Ich habe es selbst gethan!" erwiderte er kurz und suchte
die letzten Eisenstangen zu lösen; das Eisen gab nach, siel in den
Thurm herein, und er stieg durch die Oeffnung.

„Und mein Kind? Was ist aus dem geworden? Theo-
dor!" schrie die Baronesse in fürchterlicher Angst, „Theo-
dor! hörst du nicht, wo ist meine Cili?"

Er schien sich aus eine Antwort zu bedenken, doch plötz-
lich gewann sein besseres Gefühl die Oberhand, er neigte sich
zurück und flüsterte: „Fürchte nichts, gute Frau! Cili hat es
gut; sie vermißt Nichts." — Das waren seine letzten Worte.
Er verschwand, und ein dumpfer hohler Schlag tönte über den
ganzen Hof, wie wenn ein schwerer Körper von einer bedeu-
tenden Höhe herabgestürzt wäre; die Baronesie kehrte weinend
in ihr Zimmer zurück. Als der nächste Morgen kam, war
der Gefangene verschwunden. Niemand konnte begreifen, wie
er aus dem Thurme kam, der sechzig Fuß hoch und rings her-
um von spitzen Feldsteinen umgeben war.

„Und wo hast du dich seit deiner Abwesenheit umhcrge-
triebcn?" fragte Hjelm in einem milderen Tone, als vorher,
„warum verließest du uns?" —

„Weil ich nicht Lust hatte, hier länger zu bleiben !" mur-
melte er leise und sank wieder in die vorige Stille zurück.

„Gut, Junge! Gut!" schrie der Gutsherr erbittert. „Ich
will dir reden lehren. Morgen führe ich dich nach Ringkjöbing
und übergebe dich den Händen der Gerichte!" — Er schellte,
und gab dem Trompeter, der indessen mit gezogenem Palasch
und zwei großen Reisepistolen in den Seitentaschen vor der
Thüre außen Wache gehalten hatte, den Auftrag, ihn zu bin-
den und dann in die Thurmkammer hinaufzuführen. „Dort
kannst du die Nacht über sitzen!" rief er, als man Theodor
fortführte, „und wenn du morgen nicht gutwillig eingestchst,
wo sich meine Tochter befindet, lasse ich dich nach Ringkjöbing
bringen: du hast die Wahl!"

Der Gefangene warf einen wohlwollenden, gerührten Blick
auf die Baronesie hinüber, und ließ sich dann ohne Widerstand
fortführen.

In derselben Nacht sahen die Leute von Lönborg eine
leichte weißgekleidete Gestalt, mit einem Lichte in der Hand, im
Ausgange zum Thurme verschwinden; es war Frau Hjelm,
die noch einen Versuch machen wollte, das Herz des jungen
Menschen zu rühren. Als sie in den Thurm kam, war Theo-
dor verschwunden. Schon wollte sie die Kammer wieder ver-
lasien, als sie zufällig zum Fenster hinauf sah; eine dunkle Ge-
stalt saß zusammengekrümmt in der Fensterwölbung; Theodor
hatte sich der Bande befreit, zwei von den Eisenstangen zur
Seite gebogen, und wollte eben durch die Oeffnung schlüpfen,
als die Baronesie die Kammer ausschloß und eintrat.

„Theodor!" rief sie mit zitternder Stimme, „was treibst
du? Ich komme dich zu befteien."

Wer junge Wölfe nährt am eignen Herde,

Der nährt für ihren Raub auch seine Heerde.

Saxo Grammatikus.

Seit dieser Nacht waren sieben Jahre vergangen. In all'
dieser Zeit hatte man auf Lönborg von den Verschwundenen
nichts mehr gehört. Die Sorge untergrub die Gesundheit der
Baronesse und auch bei dem Gutsherrn konnte man die Spuren
des Grames deutlich sehen, sein Haar wurde grau, und das
Alter beugte ihn vor der Zeit. Nirgends waren die verlasse-
nen Eltern mehr zufrieden, die Heimath war ihnen verhaßt,
und wenn sie zu Fremden kamen, erinnerte sie der Anblick von
Kindern allzeit an das, was sie verloren.

Es war im Herbste, die Haide stand voll Blumen und
der Wind pfiff kalt und schneidend vom Meere herein, als
Beide in einer Abendstunde von einem Herrenhose heimfuhren,
wo sie acht Tage zugebracht hatten. Der Baron fand die Ge-
gend sehr unheimlich, er war schlechter Laune und blickte ernst
und finster vor sich hin. Da kam des Weges daher eine
Schaar Männer ihnen entgegen, die in kurzen Zwischenräumen
einige heisere, langgezogene Töne ausstießen. Ueberrascht, auf
eine so seltsame Weise die Stille der Steppe unterbrochen zu
sehen, ließ der Gutsherr anhalten, um den Zug bester in Au-
genschein nehmen zu können.

Es waren Leute, die sehr gut zu der Stelle paßten, auf
der sie sich Herumtrieben; ihre Haare waren von der Farbe der
Nacht, und ihre Gesichter so dunkel und fahl wie die Haide,
über die sie hinschrittcn. Es konnten wohl Zwanzig sein;
die größten von dem Zuge trugen eine große Kiste auf den
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Königin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Paar <Motiv>
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 1.1845, Nr.22, S.172

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen