Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
178

Das gesuchte Abenteuer.

ein unvorhergesehener günstiger Umstand sich ihr dargeboten
haben müsse, welcher Ottilie nur kaum so viel Zeit gelassen,

: ihn davon zu benachrichtigen. Rasch traf er demzufolge alle
Vorbereitungen und fand sich am Abende an dem bestimmten
Ort ein. Tie Thür des Pavillons stand offen. Er schlich
vorsichtig näher und erblickte Ottilien, welche auf dem Sopha
der Thür gegenüber saß. Bei dem Geräusch seiner Schritte
erhob sie das Haupt, ihr Auge glühte, ihre Züge waren
verstört. Mit starrem Blick sah sie den jilngen Mann vom
Kopf bis zu den Füßen an und fragte ihn dann mit kurzem
Tone: „Was wollen Sie hier?"

„Haben Sie mich denn nicht erwartet?" entgegnete er,
etwas erstaunt über diesen Empfang.

„Wer sind Sie?" frug Ottilie.

„Ihr Freund," erwiderte der junge Mann, indem er
ihre Hand ergriff und an die Lippen drückte, „Ihr Freund,
welcher Sie retten will, Leo Welly." Ein plötzlicher Strahl
des Erkenntnisses erheiterte die Züge Ottiliens. „Leo,"
wiederholte sie, „ja — ganz recht — ich erinnere mich, er
hatte mir versprochen, mich zu befreien."

„Und er ist da, sein Versprechen zu halten."

„Er? Ist es wahr? daun fort von hier! fort!" Sie
erhob sich, warf die Mantille um und band ihren Hut fest.

„Verzeihen Sie," unterbrach sie Leo, dessen Erstaunen
wuchs, „aber Ihr Brief sagte mir nicht — ist Herr von
Wallram abwesend?"

Ottilie schrack heftig zusammen und ergriff Leo's Arm.
„Schweigen Sie," tnurmelte sie, nach der Thüre blickend,
„er könnte uns hören — er kommt —!"

„Fürchten Sie nichts in meiner Gegenwart," erwiderte
Leo und gab sich Mühe, sie zu beruhigen, obgleich er selbst
unruhig und ihm ganz unheimlich zu Muthc war.

„O Sie kennen ihn noch nicht!" fuhr die junge Frau
fort und ward immer aufgeregter. „Er ist im Stande, Sie
zu ermorden, wie er den Andern gemordet hat."

„Ten Herrn von Landstein? Entsetzlich!" rief er.

„Ihn — meine Eltern — meine Freunde — Alle —!"

„Kann es möglich sein? Allmächtiger Gott!"

„Er würde mich in meinen Kerker zurückbringen und
mich da sterben lassen — sterben, allein, im Dunkeln, an
die Mauer geschmiedet. —"

„Ah, jetzt wird mir Manches begreiflich," rief Leo ent-
setzt, denn er erinnerte sich der bei dem Wirth erkauften
' Stricke und Klammern; „das Scheusal ließ sich nicht durch
j so viel Schönheit und Anmuth rühren!"

„Er kommt, er kommt!" schrie Ottilie und ihr Blick
rollte fieberhaft nach allen Seiten hin.

„Dann fort von hier," rief Leo und umschlang sie mit
! den Armen.

In demselben Augenblick vernahmen beide den Klang
* eines die Thüre verschließenden Schlüssels.

In namenlosem Schrecken sprang Leo dagegen und versuchte
sie wieder zu öffnen, aber sie spottete aller seiner Anstrengungen.
Sie waren gefangen. Tie tiefste Bestürzung überkam sie.

„Er war es," stammelte Ottilie.

„Haben Sie ihn gesehen?" frug Leo hastig.

„Nein, aber wie kann die Thüre —?"

„Vielleicht hat sie nur der Wind zugeworfen."

„Was aber bleibt uns zu thun übrig?"

„Tie Fenster!"

„Geschwind!"

Allein die starken Eisengitter leisteten einen unbesiegbaren
Widerstand. Treimal versuchte Leo sie aus ihren Fugen zu
heben, umsonst! Der Schweiß rieselte von.seiner Stirne,
wüthend rüttelte er an den Eisenstäbcn, aber sie blieben fest
und wankten nicht. Die Nacht war indessen hcrabgesnnken,
jede Minute des Verzugs vermehrte die Gefahr. Leo wandte
sich daher zu Ottilien, um sie um Rath zu fragen. Tie
Dunkelheit hatte auch die Unruhe der jungen Frau gesteigert.
Schweigsam und düster kauerte sie in dem finstersten Winkel
des Pavillons, zerpflückte mit fiebernder Hast ihre seidene
Schärpe und murmelte nur von Zeit zu Zeit unverständliche
Worte. Als Leo sie anredete, sprang sie jäh mit einem so
entsetzlichen Schrei empor, daß der junge Manu unwillkühr-
lich zurückbebtc.

Eine fürchterliche Veränderung war in dem schönen sanf-
ten Antlitz vorgegangcn. Auf Stirne und Wangen glühten
große rothe Flecken und ihre starren Augen brannten in un-
sagbar wildem Ausdruck. Mit Staunen und Schrecken be-
trachtete Leo sie einen Augenblick, dann rief er verstört:
„Mein Gott, was fehlt Ihnen, was ist Ihnen, Ottilie?"

„O ich kenne Dich jetzt," murmelte das junge Weib in
abgebrochenen Lauten; „Du bist ein Berräther — Du willst
mich ausliefern — hinweg!"

„Welche Verwirrung überfällt Sie? Sammeln Sic sich
doch, Fassung, Fassung!"

„Komme mir nicht zu nahe!" schrie sie mit flammenden
Blicken; „fort oder ich räche mich für Alles, was Tu mir
zu Leid gcthan hast!"

„Ottilie!" rief der junge Mann entsetzt. — Aber in
diesem Augenblick ging ihm ein schreckliches Licht auf und
in fürchterlicher Aufregung fügte er hinzu: „Gerechter Gott,
die Unglückliche ist wahnsinnig!"

Sie antwortete durch einen unverständlichen Ausruf, fuhr
mit der Hand in ihre Locken, eine goldene Nadel glänzte in
derselben und fast im gleichen Momente fühlte sich der junge
Mann an der Hand, am Hals und im Gesicht empfindlich
verwundet. Er wollte ihren Arm fassen, aber die Wahnsinnige
entschlüpfte ihm und die Nadel traf ihn von Neuem. Wüthend
vor Scham und Schmerz wollte er sich Ottiliens um jeden
Preis versichern, aber sie entfaltete eine Kraft und Behendig-
keit, welche ihm dies sehr erschwerten. Die Dunkelheit benutzend,
entzog sie sich allen seinen Anstrengungen, zerfleischte ihn mit
ihren Nägeln und stach ihn mit der goldenen Nadel. Keuchend
und mit Blut bedeckt, setzte er mit verdoppelter Wuth das
Ringen fort. Endlich gelang es ihm, die Hände Ottiliens zu
packen, mit ihrer Schärpe zu binden und sie damit an das
Sopha zu befestigen. Kaum war ihm dies gelungen, so öffnete
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen