Fliegende Blätter (101.1894 (Nr. 2553-2578))

an schalt sie eine Hexe
Die alte Waldesfrau;

Drei Kreuze schlug der Jäger,
Kam er an ihren Bau.

Und doch war einst sie selber
Ein frisches Jägerskind,

Kein Fink sang je so helle,

Kein Kitz sprang so geschwind.

Wie ihre Wangen blühten,

So blüht kein Maientag,

Und mancher Waidmann spürte
Der holden Fährte nach.

Wie's dann so kam, wer weiß cs?
Sie haben viel geschmält,

Gevatterin und Basen
Die Zungen sich zerquält.

Im Armensünderwinkel
Erzählt's ein einsam' Grab,

Dem lang die Friedhofslinde
Schon ihren Schatten gab.

D'raus reckt ein Kreuz von Eisen
Die rvst'gen Arme ans;

Stets am Charfreitag schmückt cs
Ein frischer Waldesstrauß.-

Und heut' holt man die Alte;
Nun ist ihr Leid vorbei.

Heut' trägt man sie zu Thalc
Mit Kranz und Kantorei.

Und Reh und Kitz' eräugen
Den Zug und sichern scheu.

Nahm ihr die Welt auch Alles —
Der Wald hielt ihr die Treu'!

Die kleine Glocke läutet
Vom alten Gotteshaus;

Es raschelt am Kreuz von Eisen
Der welke Blumenstrauß.

„Die hier in Schanden ruhen,
Nimm, Herr, sie auf in Ehr'!" .
Die Basen zischeln leise:

„Jetzt bringen s' d' Hex' daher!"

Die Krähen kreischen klagend
Und streichen vom Geäst;

Es schleicht der schwarze Kater
Um das verfall'ne Nest.