2 Waldmann
Geschöpfe, wenn sie mit ihren dicken Köpfen und plumpen
Tatzen rollen und kollern, zappeln und krabbeln, die ersten
Sprünge versuchen und ihre Stimme vernehmen laffen. Aus
dem drolligen Wolf*) wurde nach und nach ein wackrer Hund
von edler Gestalt, hellen Augen, klugem Sinn, gelenken, schwung-
kräftigen Gliedmaßen. Waldmann war, wie mindestens sechs-
zehn seiner Ahnen vor ihm gewesen, ein Zottel, oder wie wir's
bei unS heißen: ein Schnauzer, und in keinerlei Weise aus der
Art geschlagen, weßhalb eine wohllöbliche Jägerei es schwer
beklagte, daß ihn das Mißgeschick traf, des Grafen Edmund
Liebling zu werden. Dieser Edmund, des Fürsten Vetter, war
nämlich ein gar wunderlicher Heiliger, und hegte unter aller-
hand seltsamen Einbildungen auch die: er sei der erste und
auserlesenste Hundelehrer auf dem Erdenrund. Weshalb er zu
sagen pflegte: „Wenn alle Stränge reißen, so verdien' ich mir
selber mein Brod mit dem Abrichten von Hunden!" Nun
weiß aber jeder, der nur ein wenig davon versteht, daß Rüden
und Rosse zu lehren eine große Kunst ist, und sogar viel
schwieriger, als die Erziehung gemeiner Menschenkinder, weß-
halb auch die gesammte Jägerei den Grafen hehlings auslachte
und einander in's Ohr raunte: zum Dorfschulmeister möge
seine Erlaucht allenfalls gut sein, aber von der edlen Kunst
und liefen Wissenschaft des Abrichtens verstehe Hochdieselbe
keinen Pfifferling. — Unter des Grafen harter Zucht kam
nunmehr für Waldmann nach freisamer Jugendlust nur all-
zubald des Lebens bitterer Ernst. Es ging ihm ungefähr
in seiner Art, wie es uns in der unfern ergangen ist, als
wir die griechischen unregelmäßigen Zeitwörter mit Gewalt
erlernen sollten, und uns dagegen kaum mit demjenigen
befassen durften, was wir gern gelernt und darum leicht be-
griffen hätten. Der Schnauzer war ein Fanghund; dennoch
mußte er sich zu Pudelkünsten bequemen, wie etwa der Vor-
stehhund sie gerne sich aneignet und mit Vergnügen übt.
Das war bereits schlimm genug, doch immer noch nicht das
Schlimmste. Der Graf stand im Wahne, der Hund müsse wie
ein Mensch behandelt werden, und sein „beschränkter Untertha-
nenverstand" begreife nur dasjenige, was ihm mit Gewalt ein-
gekeilt worden; darum mußte nun der arme Waldmann unter
den Rissen der Korallen,**! unter den scharfen Streichen der
geflochtenen Lederpeitsche üben, was er allenfalls spielend erlernt
hätte. Er war, was die Jäger einen weichen Hund heißen;
ein Wort, ein Wink hätten hingereicht, ihn zu belehren, wäh-
rend er unter der strengen Zucht der Prügel viel mehr noch
erhielt, als der härteste Köter, denn je mehr er bekam, um so
verwirrter und erschrockener wurde er. Ein wahres Wunder
schien es, daß diese verkehrte Erziehung den ehrlichen Schnau-
zer nicht ganz und gar zum heimtückischen Vieh machte. Trotz
der schnöden Behandlung blieb er gutmüthig, treuherzig und
sanft, nur bildete sich der Diebssinn dergestalt in ihm aus, als
ob er Unterricht bei ven Windhunden genommen hätte.--
*) Wols: junger Hund
**) Korallen: Die stachligen Kugeln des Zwangshalsbandes,
welches beim Abrichten angewendet wird.
Schnauzer.
Hunger und Schläge sind nur für gemeine Bestien zuträg-
lich, das edlere Gemüth verliert dabei mehr oder weniger von
seinen Vorzügen. Durch schnöde Behandlung wurde Wald-
mann Schnauzer gefräßig, naschhaft und ein Dieb; durch
schnöde Behandlung war der alte Silvester zum Menschenfeind
geworden. Obschon der Name ebenfalls einen Waldmann
bedeutet, so war besagter Silvester nicht etwa ein Hund; er
verwahrte sich sogar vorkommenden Falles ausdrücklich gegen
eine solche Voraussetzung, indem er sagte: „Ich bin ja kein
Hund!" Das hatte ihm aber bei seinemBrodherrn, bemalten
Fürsten nichts geholfen. Selbiger Fürst Theodor, des regieren-
den Fürsten Eugen und des Grafen Edmund gemeinsamer
Großvater, war zu seinen Lebzeiten ohnehin ein rechter Leut-
schinder aus der Schule des Rococo-Jahrhunberts gewesen;
kein ärgerer hat jemals einen Zopf getragen. Seinem Namen,
der zu deutsch eine Gabe Gottes bedeutet, machte er just so
viel Ehre, als dem Christkindel die Ruthe am Weihnachtsbaum.
Was Theodor der Tyrann und sein Büchsenspanner Silvester
eigentlich miteinander gehabt haben, wußten die Leute nicht so
recht; es wird eben eine von den verzweifelten Liebesgeschichten
gewesen sein, wie sie in der Höfe geheimen Jahrbüchern so oft
schon eine Rolle spielten. Silvester hatte eines Tages Streit
mit dem gnädigen Herrn, zückte das Waidmesser und wurde in
Folge dessen in ein finstres Verließ geworfen, aber nicht weiter
zur Verantwortung gezogen, sondern blieb eben ohne llrtheil
und Recht im Schatten liegen. Des Jägers Braut that meh-
rere Fußfälle beim Fürsten, und erlangte soviel, daß sie sofort
an den Hegereiter eines entlegenen Bezirks verheirathet würbe.
Nach Theodors Hinscheiden begnadigt, lebte der ehemalige
Büchsenspanner vollständig abgeschieden von der Welt, inmitten
grüner Einsamkeit im halbverfallenen Jagdschlößchen „vsxit
amoureux," auf deutsch: „Liebesharm." Vor langen Jahren
hatte ein Angehöriger des fürstliches Hauses in des Landes
wildester Gegend das Schlößchen erbaut, um dort seine Tage
als trauernder Einsiedler zu verbringen; doch war, bevor die
Einsievelei nur so recht unter Dach und Fach gekommen, be-
sagter Cavalier, von seiner Verzweiflung genesen, zum Zwei-
siedler geworden, und hatte mit dem Kummer selbst das Haus
des Grams vergessen. Jetzt diente das Schlößchen einem zum
Aufenthalt, der so trefflich hineinpaßte, daß es eigens für ihn
erbaut schien. —
Mitten im Winter war's. Unter tiefem Schnee lagen
Strom und Bäche zu hellem Kristall erstarrt. Da fiel es
nächtlicher Weile im heißen Afrika dem Samum urplötzlich ein,
nordwärts zu fahren, um sich auf den Wogen des Mittelmeers,
auf Schnee und Eis der Gebirge zu erfrischen. Die Ankunft
des ungestümen Gastes brachte eine tolle Verwirrung hervor.
Wie von Lenzahnungen durchbebt, regten und hoben sich die
Gewäffer, sprengten die Eisdecke und schwemmten sie in Schol-
len weiter. Die Schncefläche überzog sich mit einer wäfferig
glänzenden Kruste. Von den Bäumen fiel der Schnee klum-
penweis, halb Wasser, halb Eis. Silvester kam sich wie
verhext vor, da er früh morgens seine Wohnung verließ.
Am Vorabend hatte er in der Dämmerung ein Stück Wild
Geschöpfe, wenn sie mit ihren dicken Köpfen und plumpen
Tatzen rollen und kollern, zappeln und krabbeln, die ersten
Sprünge versuchen und ihre Stimme vernehmen laffen. Aus
dem drolligen Wolf*) wurde nach und nach ein wackrer Hund
von edler Gestalt, hellen Augen, klugem Sinn, gelenken, schwung-
kräftigen Gliedmaßen. Waldmann war, wie mindestens sechs-
zehn seiner Ahnen vor ihm gewesen, ein Zottel, oder wie wir's
bei unS heißen: ein Schnauzer, und in keinerlei Weise aus der
Art geschlagen, weßhalb eine wohllöbliche Jägerei es schwer
beklagte, daß ihn das Mißgeschick traf, des Grafen Edmund
Liebling zu werden. Dieser Edmund, des Fürsten Vetter, war
nämlich ein gar wunderlicher Heiliger, und hegte unter aller-
hand seltsamen Einbildungen auch die: er sei der erste und
auserlesenste Hundelehrer auf dem Erdenrund. Weshalb er zu
sagen pflegte: „Wenn alle Stränge reißen, so verdien' ich mir
selber mein Brod mit dem Abrichten von Hunden!" Nun
weiß aber jeder, der nur ein wenig davon versteht, daß Rüden
und Rosse zu lehren eine große Kunst ist, und sogar viel
schwieriger, als die Erziehung gemeiner Menschenkinder, weß-
halb auch die gesammte Jägerei den Grafen hehlings auslachte
und einander in's Ohr raunte: zum Dorfschulmeister möge
seine Erlaucht allenfalls gut sein, aber von der edlen Kunst
und liefen Wissenschaft des Abrichtens verstehe Hochdieselbe
keinen Pfifferling. — Unter des Grafen harter Zucht kam
nunmehr für Waldmann nach freisamer Jugendlust nur all-
zubald des Lebens bitterer Ernst. Es ging ihm ungefähr
in seiner Art, wie es uns in der unfern ergangen ist, als
wir die griechischen unregelmäßigen Zeitwörter mit Gewalt
erlernen sollten, und uns dagegen kaum mit demjenigen
befassen durften, was wir gern gelernt und darum leicht be-
griffen hätten. Der Schnauzer war ein Fanghund; dennoch
mußte er sich zu Pudelkünsten bequemen, wie etwa der Vor-
stehhund sie gerne sich aneignet und mit Vergnügen übt.
Das war bereits schlimm genug, doch immer noch nicht das
Schlimmste. Der Graf stand im Wahne, der Hund müsse wie
ein Mensch behandelt werden, und sein „beschränkter Untertha-
nenverstand" begreife nur dasjenige, was ihm mit Gewalt ein-
gekeilt worden; darum mußte nun der arme Waldmann unter
den Rissen der Korallen,**! unter den scharfen Streichen der
geflochtenen Lederpeitsche üben, was er allenfalls spielend erlernt
hätte. Er war, was die Jäger einen weichen Hund heißen;
ein Wort, ein Wink hätten hingereicht, ihn zu belehren, wäh-
rend er unter der strengen Zucht der Prügel viel mehr noch
erhielt, als der härteste Köter, denn je mehr er bekam, um so
verwirrter und erschrockener wurde er. Ein wahres Wunder
schien es, daß diese verkehrte Erziehung den ehrlichen Schnau-
zer nicht ganz und gar zum heimtückischen Vieh machte. Trotz
der schnöden Behandlung blieb er gutmüthig, treuherzig und
sanft, nur bildete sich der Diebssinn dergestalt in ihm aus, als
ob er Unterricht bei ven Windhunden genommen hätte.--
*) Wols: junger Hund
**) Korallen: Die stachligen Kugeln des Zwangshalsbandes,
welches beim Abrichten angewendet wird.
Schnauzer.
Hunger und Schläge sind nur für gemeine Bestien zuträg-
lich, das edlere Gemüth verliert dabei mehr oder weniger von
seinen Vorzügen. Durch schnöde Behandlung wurde Wald-
mann Schnauzer gefräßig, naschhaft und ein Dieb; durch
schnöde Behandlung war der alte Silvester zum Menschenfeind
geworden. Obschon der Name ebenfalls einen Waldmann
bedeutet, so war besagter Silvester nicht etwa ein Hund; er
verwahrte sich sogar vorkommenden Falles ausdrücklich gegen
eine solche Voraussetzung, indem er sagte: „Ich bin ja kein
Hund!" Das hatte ihm aber bei seinemBrodherrn, bemalten
Fürsten nichts geholfen. Selbiger Fürst Theodor, des regieren-
den Fürsten Eugen und des Grafen Edmund gemeinsamer
Großvater, war zu seinen Lebzeiten ohnehin ein rechter Leut-
schinder aus der Schule des Rococo-Jahrhunberts gewesen;
kein ärgerer hat jemals einen Zopf getragen. Seinem Namen,
der zu deutsch eine Gabe Gottes bedeutet, machte er just so
viel Ehre, als dem Christkindel die Ruthe am Weihnachtsbaum.
Was Theodor der Tyrann und sein Büchsenspanner Silvester
eigentlich miteinander gehabt haben, wußten die Leute nicht so
recht; es wird eben eine von den verzweifelten Liebesgeschichten
gewesen sein, wie sie in der Höfe geheimen Jahrbüchern so oft
schon eine Rolle spielten. Silvester hatte eines Tages Streit
mit dem gnädigen Herrn, zückte das Waidmesser und wurde in
Folge dessen in ein finstres Verließ geworfen, aber nicht weiter
zur Verantwortung gezogen, sondern blieb eben ohne llrtheil
und Recht im Schatten liegen. Des Jägers Braut that meh-
rere Fußfälle beim Fürsten, und erlangte soviel, daß sie sofort
an den Hegereiter eines entlegenen Bezirks verheirathet würbe.
Nach Theodors Hinscheiden begnadigt, lebte der ehemalige
Büchsenspanner vollständig abgeschieden von der Welt, inmitten
grüner Einsamkeit im halbverfallenen Jagdschlößchen „vsxit
amoureux," auf deutsch: „Liebesharm." Vor langen Jahren
hatte ein Angehöriger des fürstliches Hauses in des Landes
wildester Gegend das Schlößchen erbaut, um dort seine Tage
als trauernder Einsiedler zu verbringen; doch war, bevor die
Einsievelei nur so recht unter Dach und Fach gekommen, be-
sagter Cavalier, von seiner Verzweiflung genesen, zum Zwei-
siedler geworden, und hatte mit dem Kummer selbst das Haus
des Grams vergessen. Jetzt diente das Schlößchen einem zum
Aufenthalt, der so trefflich hineinpaßte, daß es eigens für ihn
erbaut schien. —
Mitten im Winter war's. Unter tiefem Schnee lagen
Strom und Bäche zu hellem Kristall erstarrt. Da fiel es
nächtlicher Weile im heißen Afrika dem Samum urplötzlich ein,
nordwärts zu fahren, um sich auf den Wogen des Mittelmeers,
auf Schnee und Eis der Gebirge zu erfrischen. Die Ankunft
des ungestümen Gastes brachte eine tolle Verwirrung hervor.
Wie von Lenzahnungen durchbebt, regten und hoben sich die
Gewäffer, sprengten die Eisdecke und schwemmten sie in Schol-
len weiter. Die Schncefläche überzog sich mit einer wäfferig
glänzenden Kruste. Von den Bäumen fiel der Schnee klum-
penweis, halb Wasser, halb Eis. Silvester kam sich wie
verhext vor, da er früh morgens seine Wohnung verließ.
Am Vorabend hatte er in der Dämmerung ein Stück Wild