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Waldmann

geschossen, das er nun mit dem Handschlitten holen wollte.
Kaum fand er den Anschuß mehr, welchen er doch verbrochen.
Die Fährte war schier nirgends mehr kenntlich, vom Schweiß *)
gar nichts zu finden. Brummend und verdrießlich zog er der
schwer einzuhaltendcn Spur nach. Einmal um's andre wetterte
er einen schlimmen Segen und sprach dazu: „Warum hat auch
der böse Feind den Fassan holen müssen? Das Vieh war kaum
zehn bis zwölf Jahre alt, ein Haupthund. Jetzt kann ich die
Fährten selber annehmen und mit der eigenen Nase auf dem
Schweiß nachziehen. Und wo soll ich wieder einen geführten
Hund her bekommen in diesem Winter?" Zum Verdruß über
den Mangel des vierfüßigen Gesellen kam nach und nach der
Groll über das eigene Versehen, da sich's offenbar herausstcllte,
daß der Schütz dasmal schlecht geschossen. Weiter und immer
weiter führte die Fährte den nachhängenden Waidmann. „Kauf
dir eine Brille, lappiger Maulwurf," schalt Silvester sich selber:
„du hast die alte Schachtel waidwund geschaffen und sie war
keine zweihundert Gänge weit von dir. Schäm' dich, grauer
Pfuscher und Sonntagsschütz. Ich ließe dir fünfundzwanzig
mit dem Waidmeffer auszählen, wüßte ich nur durch wen?" —
Unter einer alten Schachtel versteht der hirschgerechte Jägers-'
mann in vertraulicher Rede eine Hinde oder Hirschkuh. Waid-
wund heißt durch den hohlen Leib geschaffen, mit welcher Ver-
wundung das Wild noch weit von dannen fliehen kann, während
cs, auf das Blatt getroffen, entweder sofort im Feuer zusam-
menstürzt oder wenigstens nicht gar weit mehr kommt.

Die Fährte, mit unbeschreiblicher Mühe verfolgt, führte
bis zum Flusse. Der Eisgang war in vollem Zuge. Eine
Schiffhütte stand nicht weit entfernt, aber der Fährmann wollte ;
nicht fahren. Da sprang der Jäger allein in den Nachen, er-
griff die lange Ruderstange und arbeitete aus Leibeskräften.
Vergeblich, so behend und stark der eiserne Greis auch war.
Nicht bis zur Mitte des Thalwegs brachte er's, obwohl er
schweißtriefend von der harten Arbeit jeden Augenblick eines
kalten Bades gewärtig sein durfte. Der Schiffer stand am
Ufer, mehr für sein Geschirr besorgt als für den tollkühnen
Waghals, doch sprach er kein lautes Wort, denn Silvester
war ihm als grober Schroll hinlänglich bekannt, der sich
nichts sagen ließ und gleich mit Fäusten dreinschlug. Der
Waidmann hätte vielleicht sein Bemühen bis zur sinkenden
Nacht fortgesetzt, so eitel es war, wenn nicht ein seltsames
Schauspiel seine Gedanken zu einem andern Ziel gelenkt. Ur-
plötzlich sah er nämlich mitten auf den treibenden Schollen
einen Hund heranschwimmen. Dem Thier war offenbar nicht
wohl in seiner zottigen Haut, es zitterte und bebte an allen
Gliedern und stieß ein jämmerliches Geheul aus. Silvester rief
mit lauter Stimme; „Ho da da, Schnauzer, da da!" Wieder
Hund den Ruf vernahm, fing er an zu wedeln und seine Augen

*) Anschuß: der Platz, wo ein Wild vom Schuß getroffen (an-
gcschossen) wurde. Verbrechen: durch einen abgebrochenen Zweig
(Bruch) bezeichnen. Schweiß: Blut des Wildes.

Schnauzer. Z

leuchteten in gelbem Schein. Solcher Schein, wenn er sich wie
ein Metallblättchen vor die Augen eines Hundes legt, verkündet
jedesmal eine freudige Gemüthsbewegung. Silvester dachte so-
fort nicht mehr an sich, vielweniger an die alte Schachtel, son-
dern sann einzig und allein auf des schönen Thiercs Rettung.
„Wart', Möpsle, wart'", sagte er, und suchte mit dem Ruder-
hacken die Scholle zu fangen. Das gelang ihm nur unvoll-
kommen, doch der Schnauzer hatte Menschenverstand, sprang
auf eine andre Scholle, die leichter zu packen war, und ge-
langte glücklich in den rettenden Kahn. Silvester wandte sich
nun dem Ufer zu, welches er verlassen, und hülfreich warf der
Schiffer Tau und Stange aus. Im Kahn lag der Hund
mäuschenstill, als wüßte er, daß jede Bewegung Gefahr drohte.
Doch kaum an's Land gekommen, drückte er seine Freude und
seinen Dank durch ungestüme Liebkosungen, durch lautes Gebell
und tolle Sprünge aus.

„Friß mich nur nicht vollends, wahnwitziger Mops," rief,
der Liebkosungen sich erwehrend, Silvester, und der Fährmann
sah mit Erstaunen ein Lächeln auf des Menschenfeindes harten
Zügen. Das Lächeln verzog sich schnell genug, da der Schiffer
sagte: „Ich kenne den Schnauzer. Waldmann heißt er und

ist des Herrn Grafen Edmund Leibhund. Du wirst ein schö-
nes Trinkgeld bekommen."

Was darauf der Jäger sagte, ist dem Grafen schwerlich
ausgerichtet worden, dann that er einen grellen Pfiff, wandte
sich und ging seiner Wege, begleitet von seinem Geretteten, der
wie toll und thöricht ihn umsprang und ihm mit unaufhör-
lichem „Wauwau!" allerhand erzählte.

Für einen Hund konnte es keine angenehmere Behausung
geben, als das Waldschlößchen Liebesharm. Das'Hauptgebäude
glich dem Plane nach einem Gartenhäuschen, nur daß es nicht
so winzig und von dünnem Fachwcrk war, wie Gartenhäuschen j
sich zu zeigen pflegen, sondern geräumig von starkem Mauer-
werk aus gehauenen Steinen. Das Erdgeschoß war eine Halle !
mit alterthümlicher Feuerstätte, wo immer ein ganzer Scheiter-
haufen loderte, um den Raum zu wärmen und Abends zu er-
leuchten. An Buchenklötzen war kein Mangel; sie wuchsen
schier zu den Fenstern herein. Im weiten Herdmantel hingen
dem Rauch ausgesetzt, stattliche Schinken und Vorderbuge, dock
nicht vom Leib des gezähmten Schweines, sondern vom Roth-
wild, das in der Fcistzeit erlegt worden, vom Bären und vom
ritterlichen Keuler sammt seiner schwarzborstigcn Sippschaft.

(Schluß folgt.)


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